Zwischenbilanz: Warum die Umfragewerte der Ampel im Grunde noch gut sind

Die Ampel-Parteien kämen zusammen immerhin noch auf 38 Prozent. Das ist nicht wenig angesichts ihrer bisherigen Politik. Foto: WikimediaImages / Pixabay Licence

Gemessen an den Versprechungen sind die Ergebnisse katastrophal. Nicht alle würden aber aus Protest AfD wählen. Profitiert die Regierung vom chaotischen Zustand der Linken?

Die Ampel-Bundesregierung steuert auf ihre Halbzeit zu. Bei der Pressekonferenz nach ihrer Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg wurden die Spitzenpolitiker von SPD, Grünen und FDP am Mittwoch sinngemäß gefragt, wie ihre schlechten Umfragewerte dazu passen, dass sie selbst mit ihrer Arbeit weitgehend zufrieden sind. Insbesondere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) meint jedenfalls, die Leistungsbilanz könne sich sehen lassen.

Letzteres hängt natürlich ganz davon ab, welchen Teil der Bevölkerung oder der Wirtschaftselite diese Regierung als ihren Chef betrachtet und welchen Interessen sie dient. Vor diesem Hintergrund stellt sich eher die Frage, ob die Zustimmungswerte nicht sogar noch gut sind – und wer außer den Bossen und Aktionärinnen der Rüstungsindustrie mit der Arbeit dieser Regierung zufrieden sein kann.

Die Auftragsbücher dieser Branche sind tatsächlich gut gefüllt, seit Scholz am 27. Februar 2022 unter dem Stichwort "Zeitenwende" einen strammen Aufrüstungskurs und ein 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr verkündet hat. Für Soziales, Klimaschutz, Gesundheit und Bildung sind auch dadurch die Spielräume geschrumpft, während der Rheinmetall-Konzern in den Deutsche Aktienindex (Dax) aufsteigen konnte.

Sozialpolitik: Armutsbekämpfung versus "Sozialklimbim"

"Wir wollen Kinderarmut bekämpfen und einen Schwerpunkt auf die Chancen und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen legen", heißt es im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien SPD, Grünen und FDP von 2021.

Für einen FDP-Abgeordneten ist das nun "Sozialklimbim" – in er ist erleichtert, dass Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sich mit einem Fünftel der "Maximalforderung" von zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung hat abspeisen lassen. Eine Einzelmeinung scheint das in seiner Fraktion nicht zu sein, auch wenn sich der FDP-Vize von der Wortwahl distanziert. Als kleinster, aber sehr selbstbewusster Koalitionspartner stellt die FDP mit Christian Lindner den Finanzminister – und der ließ vor wenigen Tagen verlauten:

Das Beste, um Armut zu überwinden, ist Arbeit. Deshalb darf von einer Reform der sozialen Unterstützungsleistungen für Familien kein Anreiz ausgehen, sich nicht um Erwerbsarbeit, um Integration und Sprachkenntnisse zu bemühen.


Christian Lindner

"Familien" sollen sich also um Arbeit bemühen. Ab welchem Alter das auch die Kinder tun sollen, wenn die Eltern keine oder nur schlecht bezahlte Jobs finden, lässt er offen. Legal ist es ab dem vollendeten 15. Lebensjahr. In der Regel werden Kinder aber erst mit sechs Jahren eingeschult und erreichen den Mittleren Schulabschluss frühestens nach zehn Jahren.

Was es für ihre zukünftigen Jobchancen bedeutet, wenn sie im Abschlussjahr nebenbei möglichst viel arbeiten, um das Familieneinkommen aufzubessern, sei dahingestellt. Unter "Teilhabe von Kindern und Jugendlichen" dürften sich aber die meisten Wahlberechtigten etwas anderes vorgestellt haben als deren möglichst frühe Teilhabe am Arbeitsleben. Viele denken dabei eher an soziale und kulturelle Teilhabe – und zwar im Hier und Jetzt, auch für Kinder unter 15 Jahren.

Klimaziele? Welche Klimaziele?

Wohlstand im Hier und Jetzt wurde in der öffentlichen Debatte gern gegen effektiven Klimaschutz ausgespielt – dabei entdeckte sogar die FDP ihr Herz für die "kleinen Leute", die sie kaum interessieren, wenn "marktgerechte" Mieten für sie ganz unabhängig von den Heizkosten unbezahlbar werden.

Mit dem geplanten Heizungsgesetz und einer mangelhaften Informationspolitik haben sich aber auch der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck nicht mit Ruhm bekleckert. Einen Teil des Unmuts in der Bevölkerung hätte sich Habecks Ressort aber ersparen können, wenn an alle Haushalte Informationsschreiben verschickt worden wären, um klarzustellen, dass funktionsfähige und reparable Öl- und Gasheizungen noch lange nicht ausgetauscht werden müssten.

Stattdessen entstand durch eine gezielte Angstkampagne und Schlagzeilen der Springer-Presse im Vorbeigehen der Eindruck einer geplanten Verschrottungsorgie für neuwertige Heizungen und eines bevorstehenden Massen-Bankrotts der Häuslebauer. Das Gesetz wurde schließlich noch einmal modifiziert.

Die methodisch radikale Klima-Initiative "Letzte Generation" hatte vergleichsweise einfache und vor allem sozialverträgliche Sofortmaßnahmen wie ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung, ein allgemeine Tempolimit von 100 Stundenkilometern und eine Verstetigung des Neun-Euro-Tickets für den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr gefordert.

Im Zuge der aufgeregten Debatte ließen sich die Grünen im März im Koalitionsausschuss breitschlagen, auch das Klimaschutzgesetz aufzuweichen, indem Sektorziele und Zwischenschritte gestrichen wurden, obwohl das Bundesverfassungsgericht dessen Verschärfung angeordnet hatte. Über die Abschaffung der Sektorziele dürfte sich vor allem Verkehrsminister Volker Wissing freuen, denn ihm hatte der Expertenrat Klima bescheinigt, das Sofortprogramm seines Ressorts sei "schon im Ansatz ohne Anspruch".

Wirtschafts- und Energiepolitik zum Weglaufen

Stillschweigend schien aber auch Habecks Ressort "Saubere Energie" im Zuge der "Zeitenwende" umdefiniert zu haben – von "Erneuere Energie" in "Fast jede Energie, die nicht aus Russland kommt". Anders sind ein Gas-Deal mit dem reaktionären Golfemirat Katar und Pläne für umweltschädliche LNG-Infrastruktur im Ostseeraum nicht zu erklären.

Schließlich musste vor wenigen Tagen sogar Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) einräumen, dass die Russland-Sanktionen nicht die gewünschte Wirkung erzielen – nachdem schon vor mehreren Monaten bekannt wurde, dass russische Energiekonzerne wie Gazprom "trotzdem" Milliardengewinne einstreichen konnten.

Unterdessen drohen immer mehr Industriebetriebe wegen hoher Energiepreise aus Deutschland abzuwandern. Klar – wer es bestimmten Branchen des fossilen Kapitalismus recht machen will, kann nicht gleichzeitig die Klimabewegten zufriedenstellen und umgekehrt. Wer aber auf beiden Seiten für maximale Unzufriedenheit sorgt, sollte sich nicht einbilden, eine besonders geniale Politik des Ausgleichs zu betreiben.

Wo bleibt eine linke Alternative, die über fünf Prozent kommt?

Vor diesem Hintergrund könnten die Umfragewerte durchaus noch schlechter sein. Die Ampel-Parteien kämen laut der letzten "Sonntagsfrage" zusammen immerhin noch auf 38 Prozent – davon entfielen 17 Prozent auf die SPD, 14 Prozent auf die Grünen und sieben Prozent auf die selbstbewusste FDP. Die Unionsparteien kämen auf 26 Prozent, die AfD auf 21 Prozent und Die Linke auf vier Prozent.

CDU und CSU dürften dabei noch als etablierte Parteien wahrgenommen werden. Es wollen aber nicht alle Unzufriedenen "aus Protest" eine ultrarechte Partei wie die AfD wählen. Andere, für die inhaltlich eher die Partei Die Linke eine Alternative wäre, müssen sich aber momentan ernsthaft fragen, in welcher Form sie bei der Bundestagswahl 2025 überhaupt noch antritt, denn sie steht allem Anschein nach kurz vor der Spaltung und ihre Zukunft ist ungewiss.

Dem "sozialkonservativen" Lager um Sahra Wagenknecht wird allerdings im Fall einer Abspaltung nebst Parteigründung in anderen Umfragen ein zweistelliges Ergebnis vorausgesagt. Dieses Lager bietet aber vor allem für jüngere Menschen zu wenig linke Antworten auf wichtige Zukunftsfragen wie Klimakrise und Migrationsbewegungen.

Es beschränkt sich weitgehend auf mehr soziale Gerechtigkeit am "Standort Deutschland", ohne dessen Wohlstand in absehbarer Zeit auf eine nachhaltige Grundlage stellen zu wollen. Die sozial-ökologische Transformation muss hier warten; der Exodus der fossilen Industrien soll erst einmal gestoppt werden.

Das Potenzial der "Restlinken" ohne Wagenknecht und Co. dürfte also zu wesentlichen Teilen bei enttäuschten Wählerinnen und Wählern der Grünen liegen.