#metoo: Welche nicht?

Der Hashtag #metoo offenbart das Ausmaß an sexueller Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung von Frauen

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Harvey Weinstein, in der Vergangenheit stand dieser Name für Erfolg im US-Showgeschäft und für Erfolgmacher - und zwar von( jungen) Talenten weiblichen und männlichen Geschlechts. Wie jetzt bekannt wurde, verlangte er vielen Frauen als Gegenleistung sexuelle Dienste ab; die Männer korrumpierte er, indem er ihre Projekte förderte. So erkaufte er sich ihr Schweigen, wie George Clooney und Quentin Tarantino jetzt durchblicken ließen.

Doch längst ist klar, sexuelle Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung gehören nicht "nur" zum Berufsbild der Filmfabrik in Hollywood, sondern zum Alltag unzähliger Frauen überall auf der Welt. So dass der Hashtag #metoo längst über den großen Teich geschwappt ist. Initiiert wurde er von der US-Schauspielerin Alyssa Milano, die damit anderen Frauen ermöglichen wollte, ganz unkompliziert die eigene Betroffenheit zu signalisieren. Inzwischen ist die Zahl der Frauen, die auf diesen Hashtag reagierten, so groß, dass sich schon längst nicht mehr die Frage stellt: "Welche Frau ist noch betroffen?", sondern: "Welche nicht?" ( #notme)

Eigentlich hätten es alle wissen können, und eigentlich haben es alle gewusst: Sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen sind keine Seltenheit in der Film- und Showbranche in den USA. Aufgedeckt wurde der Skandal um Weinstein von Ronan Farrow, Sohn der Golden-Globe-Preisträgerin Mia Farrow. Inzwischen ist die Rede von mehr als 50 Anschuldigungen, die von Belästigung bis Vergewaltigung reichen.

Dass Farrow das Schweigen brach, ist sicher kein Zufall, denn dessen Kindheit war geprägt von dem Skandal um den Lebensgefährten seiner Mutter, Hollywood-Legende Woody Allen. Dieser hatte ein Verhältnis mit seiner Schwester, der Adoptivtochter seiner Mutter, Soon-Yi. Allen und Soon-Yi heirateten später. Bei der Trennung von Farrow und Allen ging es neben der Frage, "Unzucht mit Abhängigen" in Bezug auf Soon-Yi auch um den Vorwurf, die damals 7jährige Dylan Farrow vergewaltigt zu haben.

Das Verfahren gegen Allen wurde eingestellt, doch Dylan Farrow erhob als Erwachsene schwere diesbezügliche Vorwürfe gegen Allen. Für seine Karriere spielte das indes keine Rolle. Bekannt war auch, dass Roman Polanski vorgeworfen wurde, die seinerzeit 13 Jahre alte Samantha Jane Gailey betäubt und vergewaltigt zu haben. Auch David Bowie oder Iggy Pop schadete der Vorwurf nicht, Minderjährige, sogenannte Baby-Groupies, vergewaltigt zu haben.

Das wohl prominenteste Beispiel ist der Vergewaltigungsvorwurf der Schauspielerin Monika Lundi gegen ihren Schauspieler-Kollegen Burkhard Driest. Die Tat soll sich bei einem Schauspiel-Seminar in den USA ereignet haben. Zu einer Verurteilung kam es nicht, u.a. weil ihn der Schauspieler Jürgen Prochnow, der während der Tat im Nebenzimmer schlief, deckte. Das Verfahren in den USA führte derselbe Richter, der auch Roman Polanski aus der Bredouille geholfen hatte …

#Itwasme

Doch längst melden sich unter dem Hashtag #metoo nicht nur prominente Frauen zu Wort, sondern Frauen jeden Alters, aus allen gesellschaftlichen Schichten und unterschiedlichen Berufen. Es lässt sich nicht leugnen: (Sexualisierte) Gewalt ist ein weit verbreitetes Problem. Und immer mehr Frauen trauen sich, sich als Gewaltopfer zu outen.

Laut Spiegel "erfasste die Polizei 2015 jeden Tag rund 19 Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen, und das sind nur die Fälle, die bei der Polizei angezeigt wurden, die Dunkelziffer ist wesentlich höher. Insgesamt waren unter den Verdächtigten im Bereich Sexualstraftaten 93 Prozent Männer, bei Straftaten gegen das Leben 83 Prozent."

Der US-amerikanische Filmemacher, Autor und Pädagoge Jackson Katz bemängelte bereits im Jahr 2012, dass nie über die Täter geredet werde. Genau das wird in Foren sozialer Netzwerke an der Kampagne #metoo kritisiert: Dass sich zwar viele Frauen outen, aber über die Täter niemand spricht. Die Frauen würden so in die Opferrolle geraten, oder sich selbst in diese bringen, aber ändern an den bestehenden Verhältnissen würde es nichts. Doch allmählich und ganz zaghaft äußern sich auch Männer, die verstanden haben, dass sich daran nur etwas ändern wird, wenn Männer anfangen, ihr Verhalten zu reflektieren.

Unter dem Hashtag #itwasme bekennen Männer u.a., selbst übergriffig geworden zu sein oder aber einen Freund nicht gestoppt zu haben. Allerdings nutzen manche Männer den Hashtag, um mit ihren Erlebnissen zu protzen, andere wiederum machen sich lustig - oder "glänzen" mit sexistischen und/oder rassistischen Sprüchen.

Es scheint noch ein langer Weg zu sein, bis die Erkenntnis, dass es da, wo es Opfer gibt, auch Täter gibt, und dass nicht die Opfer die Gewaltverhältnisse ändern können - außer im ganz kleinen persönlichen Rahmen -, sondern dass sich Männer kollektiv dem Problem Männergewalt stellen und es aktiv angehen müssen, damit sie nicht nur im (männlichen) Bewusstsein ankommt, sondern auch zu Taten führt.