"Alles ist möglich in Spanien"
In 12 Monaten sind 104 Milliarden Euro aus Spanien abgeflossen, weil auch einfache Sparer ihr Geld ins Ausland verlagern
Nun liegen neue Daten vor, wie stark Kapital aus dem Krisenland Spanien abfließt. Die spanische Tageszeitung El Pais berichtet heute mit Bezug auf Daten der Europäischen Zentralbank (EZB), dass bis April in den zurückliegenden 12 Monaten Sparer und Unternehmen knapp 104 Milliarden Euro abgezogen haben.
Wie dramatisch sich die Lage entwickelt, zeigt sich daran, dass knapp ein Drittel der Summe (31,4 Milliarden) allein im April abgeflossen ist. Dabei, so ist längst bekannt, hat ein "Bank run" erst im Mai mit der Debatte um eine möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone und der Verstaatlichung der spanischen Großbank Bankia begonnen (siehe Bankenkrise in Spanien weitet sich aus).
"Ich war so dumm, die Propaganda zu glauben, unser Bankensystem sei solvent und sicher"
Elena Martínez (Name geändert) ist am Mittwoch den Schritt gegangen und hat einen Teil ihrer Ersparnisse nach Frankreich verlagert. "Auch ich habe ein Sparbuch in Frankreich eröffnet", sagt sie. "Ich will im Notfall wenigstens einen Teil meines Geldes in Sicherheit haben", fügte sie gegenüber Telepolis an. Sie besuchte eine Freundin im baskischen Irun und hat im französischen Baskenland nun die Formalitäten abgewickelt. Bisher hatte Martínez ihr Geld auf einer der sieben Sparkassen liegen, die 2010 zur viertgrößten Bankia-Bank fusioniert waren, was mit 4,5 Milliarden Euro an Steuergeldern befördert wurde. Die Sekretärin glaubte, die Probleme mit faulen Immobiliengeschäften seien erledigt. "Ich war sogar kurz davor, Bankia-Aktien zu kaufen", nachdem ihr Berater sie 2011 zur angeblich "sicheren und gewinnbringende Anlage" gedrängt hatte, als Bankia an die Börse ging. Sie hätte, wie viele Kleinanleger, ihre Ersparnisse aber weitgehend verloren. Mit 3,5 Euro wurden die Aktien ausgegeben, doch nach diversen Börsenstürzen sind sie nur noch gut einen Euro wert.
Bankern und Politikern glaubt die Sekretärin nun nichts mehr, denn sie haben mit Bankia ein Milliardengrab geschaffen. Die Löcher in den Bilanzen von Bankia und ihrer Muttergesellschaft BFA wurden vor immer größer. BFA musste vor zwei Wochen verstaatlicht werden, womit der Staat auch die Kontrolle bei Bankia übernimmt, weil er nun Hauptaktionär ist. Den Steuerzahler kostet das weitere 19 Milliarden Euro und weder die Regierung noch die neue Direktion schließen weitere Milliardenhilfen aus.
"Ich war so dumm, die Propaganda zu glauben, unser Bankensystem sei solvent und sicher", sagt Martínez. Sie dachte, die sozialistische Vorgängerregierung sei für die fatale Lage im Land verantwortlich. Deshalb wählte sie vergangenen November erstmals mit der Hoffnung auf Besserung die rechte Volkspartei (PP). Spanien sei aber vom "Regen in die Traufe" geraten, erklärt sie. Der neue Ministerpräsident Mariano Rajoy versprach, die Arbeitslosigkeit zu senken, doch sie steigt weiter, weshalb sogar die Regierung eine "gigantische Krise" einräumt. Rajoy versprach, keine Steuergelder in Banken zu stecken, keine Steuern zu erhöhen und keine Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitssektor vorzunehmen. "Genau das Gegenteil tut er."
Und für die gefälschten Bankia-Bilanzen war Rodrigo Rato verantwortlich, der früher einst sogar Wirtschaftsminister einer PP-Regierung war und zwischenzeitlich sogar Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) war.
Kapitalverkehr zwischen Spanien und Frankreich
Martínez versteht, wenn auch international das Vertrauen in das Land verloren geht, denn auch sie hat es längst verloren. "Alles ist nun möglich", meint sie und verweist auf Warnungen wie von Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, die sie noch kürzlich als Spinnereien abgetan hätte. Krugman erklärte, ein "Corralito" nach argentinischem Vorbild sei in Spanien und Italien möglich. Beide Länder könnten bald gezwungen sein, Auslandsüberweisungen zu verbieten und Bargeldauszahlungen stark einzuschränken, weil längst viel Kapital abgeflossen ist.
Um dann nicht ohne Geld dazustehen, fragte sie um Rat. Eine Freundin, nach langer Arbeitslosigkeit im stabilen Baskenland einen Job fand, vereinbarte für sie einen Termin mit einer Sparkasse in Hendaye. Das Seebad liegt gegenüber Irun auf der französischen Seite, wohin auch die Freundin schon ihr Geld verschoben hat. "Das lief ganz einfach und in einer halben Stunde war es erledigt", sagte Martínez. Nur einen schnellen Termin zu bekommen, sei schwierig. Banken und Sparkassen im Grenzgebiet verzeichnen einen starken Zustrom aus Spanien, räumen sie freimütig ein.
Über das Geld in Frankreich könne sie jederzeit verfügen und erhält mit 2,25 Prozent sogar höhere Zinsen als zuvor. Sie musste nur den Personalausweis, die letzte Steuererklärung, eine Strom- oder Gasrechnung als Wohnortnachweis und einen Kontoauszug der Bank vorlegen, von der das Geld überwiesen werden sollte. "Die Angestellte war nur entsetzt, als ich ein Bündel Geldscheine aus der Tasche zog." Das ist eigentlich nicht vorgesehen. Den gesamten Betrag konnte sie schließlich nicht auf ihr neues Konto einzahlen, obwohl sie über die Auszüge nachweisen konnte, dass es kein Schwarzgeld war, sondern erst am Vortag in Spanien abgehoben worden war.
Doch man hat eine Lösung gefunden, erklärte sie mit einem Augenzwinkern. "Legal natürlich". Offenbar steht der Kapitalverkehr zwischen Spanien und Frankreich schon unter einer besonderen Beobachtung. "Ich muss höhere Überweisungen ankündigen, weil es sonst Schwierigkeiten geben kann", habe ihr die nette Angestellte in gutem Spanisch mit auf den Weg gegeben.
Griecehnland, Portugal und Spanien raus aus dem Euroraum?
Martínez schließt, wie viele in Spanien nicht mehr aus, dass Griechenland, Portugal und vielleicht auch Spanien den Euroraum verlassen müssen. Einer möglichen Entwertung ihrer Ersparnisse hat sie mit der legalen Geldflucht vorgebeugt. Sie plagen dabei sogar "Gewissensbisse". Sie weiß, dass sie damit die Lage in Spanien sogar zuspitzt, wo man ohnehin längst die Nothilfe vorbereitet.
Angesichts einer Politik, die nur die einfachen Menschen für Probleme für das zur Kasse bittet, die "Finanzjongleure" zu verantworten haben, will sie darauf keine Rücksicht mehr nehmen. Frankreich hält sie für sicher: "Fällt Frankreich um, bleibt vom Euro und von Europa ohnehin nicht mehr viel übrig", meint sie.