Anklage gegen katalanischen Regierungschef
Direkt nach den plebiszitären Neuwahlen über die Unabhängigkeit und vor der Regierungsbildung kommt die spanische Anklage
Es war abzusehen, dass Spanien den katalanischen Regierungschef Artur Mas und zwei weitere Mitglieder seiner bisherigen Regierung anklagen wird, weil dieser angeblich rechtswidrig seine Bevölkerung demokratisch und unverbindlich über die Unabhängigkeit befragen ließ. Man darf es wohl kaum als Zufall ansehen, dass Mas, seine ehemalige Vizepräsidentin Vizepräsidentin Joana Ortega und die frühere Bildungsministerin Irene Rigau ausgerechnet nach den plebiszitären Neuwahlen am Sonntag zur Beschuldigtenvernehmung vorgeladen werden.
Nachdem sich die Unabhängigkeitsbewegung durchgesetzt hat, kommt nun die Rechnung für die unverbindliche Befragung, die von Spanien verboten worden war. 48% der Katalanen hatten sich eindeutig für die Unabhängigkeit, aber nur 39% eindeutig dagegen ausgesprochen haben. Der Rest der Stimmen ging fast ausschließlich an Formationen, die sich nicht festlegten. Das gilt für das Bündnis, in dem Podemos (Wir können es) antrat, oder für den früheren Bündnispartner von Mas CDC. Wie Podemos tritt aber auch die Demokratische Union (UDC) für das Selbstbestimmungsrecht ein, weshalb man die Stimmen für beide Formationen keiner Gruppe zuschlagen kann.
Allerdings fordern beide Formationen ein Referendum, um die Frage wie in Schottland zu klären. In Katalonien wurde ein Umweg über plebiszitäre Neuwahlen versucht, weil Spanien keinen anderen legalen Weg zuließ. So wurde ein geplantes Referendum im vergangenen Jahr in Rekordzeit vom Verfassungsgericht verboten. Doch die Katalanen ließen sich die Demokratie nicht nehmen und führten wenigstens eine unverbindliche Befragung durch. An ihr nahmen etwa die Hälfte der 5,5 Millionen Wahlberechtigte teil, von denen 81% für die Unabhängigkeit stimmte.
Dafür werden die drei Regierungsmitglieder am 15. Oktober vor Gericht gestellt. Die Regierung spricht von einem "politischen Prozess" und einer "demokratischen Anomalie". In einem angeblich demokratischen Staat werden sie also nun angeschuldigt, die Bevölkerung befragt und sich damit des "Ungehorsams" und möglicher anderer Delikte schuldig gemacht zu haben, die sich daraus ableiten. Dazu können Amtsanmaßung oder Unterschlagung öffentlicher Mittel kommen, die für die Durchführung der Befragung eingesetzt wurden.
Der Termin zur Vernehmung von Mas ist nicht zufällig gewählt und bedeutungsschwanger. Er muss kurz vor der Bildung der neuen Regierung vor Gericht antreten und das am 75. Jahrestag, als der katalanische Regierungschef Lluis Companys am 15. Oktober 1940 von den faschistischen Truppen der Putschisten unter Franco hingerichtet wurde. Anzumerken ist, dass die heute in Spanien regierende Volkspartei (PP) von Ministern der Franco-Diktatur gegründet wurde und sich nie vom Putsch und der Diktatur distanziert hat.
So wird von spanischer Seite weiter viel Öl in den Konflikt geschüttet. Das liegt ganz auf der Linie, dass die postfaschistische PP stets versucht, die Probleme im Land über Repression zu lösen. Doch die Repression wird die Bevölkerung, die sich längst auf den Weg in die Unabhängigkeit gemacht hat, nicht mehr bremsen können. Unter den Zweiflern werden so neue Anhänger geschaffen, genau das ist auch die Verbreiterung der Basis, die der linksradikalen CUP vorschwebt. Man darf gespannt sein, ob sich die Anklage auf die Regierungsbildung auswirkt. Denn die CUP lehnt Mas als neuen Regierungschef ab, wie ihr Sprecher Quim Arrufat im Telepolis-Gespräch sehr deutlich dargelegt hat.
Die CUP könnte nun – aus Solidarität mit den Angeschuldigten – ihn doch als Regierungschef akzeptieren, um vor der internationalen Öffentlichkeit zu zeigen, dass hier ein demokratisch gewählter Regierungschef für eine rein demokratische Prozedur abgeurteilt wird. Neben Haftstrafen ist mit einem Berufsverbot bei einer Verurteilung zu rechnen, womit Mas ohnehin aus dem Amt scheiden würde. Im Gegenzug müsste die katalanische Regierung sofort den "Aktionsplan" gegen Hunger und Armut umsetzen, Zwangsräumungen stoppen und im Unabhängigkeitsprozess aufs Gas treten, wie es die CUP fordert, von der die neue Regierung abhängig ist.