Berliner Anschlag: Verhallte Warnungen aus Marokko
Der marokkanische Geheimdienst wies mehrfach auf den Berliner Attentäter Anis Amri hin. Deutsche Behörden gingen darauf nicht ein
Haben deutsche Sicherheitsbehörden im Fall des Attentäters Anis Amri geheimdienstliche Hinweise aus Marokko ignoriert und den Anschlag am Berliner Beritscheidplatz am 19. Dezember durch Fahrlässigkeit ermöglicht?
In der laufenden Debatte gelingt es der Bundesregierung zumindest nicht, entsprechende Vermutungen zu zerstreuen. Grund dafür ist auch eine massiv widersprüchliche Informationspolitik. Die Opposition im Bundestag und im Berliner Abgeordnetenhaus fordert daher weitere Ermittlungen – und stößt auf eine Mauer des Schweigens und mutmaßlicher Desinformation.
Wie inzwischen bekannt ist, informierte Marokko die deutschen Behörden im September und Oktober mehrmals über den Terroristen Amri, der bereits damals als Anhänger der Gruppe "Islamischer Staat" (IS) bekannt war. Dessen ungeachtet hieß es in der Antwort auf eine Frage der Linksfraktion noch Ende Dezember, "in keiner dieser Mitteilungen" sei "über mögliche Anschlagspläne des AMRI berichtet" worden. Diese Angabe war schon damals wenig nachvollziehbar, weil das Justizministerium zeitgleich in einer Chronologie zum Fall auf seine Homepage zu den Nachrichten aus Marokko Bezug nahm. Dort heißt es: "14.10.2016: AMRI sei Anhänger des sog. IS und (…) führe ein Projekt aus." Weshalb ein "Projekt" eines bekannten IS-Mitglieds nicht als Anschlagsplan gedeutet wurde, beantwortet die Bundesregierung bislang nicht.
Stattdessen besann man sich Mitte Januar auf eine neue Sprachregelung: "Nach einer gemeinsamen Bewertung lieferten die Schreiben der marokkanischen Sicherheitsbehörden keine Informationen, die im Ergebnis zu einer weitergehenden Gefährdungsbewertung führten", hieß es auf eine erneute Anfrage der Linken. Fast zeitgleich sagte Bundesminister Gerd Müller (CSU) im "Heute Journal": "Hätten die deutschen Behörden auf den marokkanischen Geheimdienst gehört, der vor Wochen vor Amri gewarnt hatte, dann hätte man den Anschlag vielleicht verhindern können."
Mitte Januar wies der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, auf einen Teil der Widersprüche hin: "Wieso wurde die Beschattung (...) im September eingestellt, (...) zu einem Zeitpunkt, zu dem der marokkanische Geheimdienst Informationen hierhergegeben hat, dass er eben ein Gefahrenpotenzial hat? Wie kann denn das sein? Wie kann es zu dieser Einschätzung kommen, dass er nicht gefährlich ist?" Dafür gebe es keine Erklärung.
In der gleichen Plenarsitzung kritisierte der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele den Umgang mit dem Attentäter. Genau drei Monate vor dem Anschlag habe es eine Meldung vom marokkanischen Geheimdienst gegeben, "in einer Situation, in der die Beobachtung von Amri eingestellt worden ist, weil man gesagt hat: Eine konkrete Gefahr gibt es nicht." Dabei habe Marokko darüber informiert, dass Amri ein sogenannter Gefährder sei, dass er nach Syrien zum IS wolle und dass er Deutschland hasse.
Allein der Umgang mit den Nachrichten aus Marokko zeigt, wie wenig belastbar das Versprechen der Bundesregierung ist, eine transparente Aufklärung des Terroranschlags zu gewährleisten. Daran würden wohl auch Untersuchungsausschüsse nichts ändern.