Chemische Durchhalteparolen
Eine Übersichtsarbeit untersucht den Einsatz des legalen Aufputschmittels Modafinil bei Schichtarbeitern, eine andere findet Hinweise auf dessen Anwendung bei Astronauten
In Industrienationen wird mindestens 10% der Arbeitsleistung in Schichtbetrieb und Nachtarbeit erbracht. Über drei Millionen Menschen in Deutschland arbeiten nach Angaben des Statistischen Bundesamts regelmäßig nachts.
Die negativen gesundheitlichen Auswirkungen dieser Tätigkeit sind bekannt. Viele Nachtarbeiter leiden unter Schlafproblemen, denen sie oftmals mit Nahrungsergänzungs- oder Arzneimittel beizukommen suchen. Aber auch für die vielen anderen, die unter Hochdruck gute Ergebnisse produzieren müssen, ist der Kampf gegen die Müdigkeit ein tagtäglicher, der mindestens mit Koffein geführt wird. Dieses selbstverständliche Aufputschen am Morgen, um pünktlich und halbwegs frisch am Arbeitsplatz zu erscheinen, der kannenweise Konsum von Filterkaffee im Büro, die Latte-Macciato Kultur der marodierenden Selbstständigen, ist ein kaum thematisiertes Phänomen.
In den USA sind Substanzen wie das Aufputschmittel Modafinil bei Menschen mit Schichtarbeiter-Syndrom verschreibungsfähig. Überraschenderweise ist die Wissensbasis um Vorteile und Nachteile des Einsatzes dünn. Um dies zu ändern hat die unabhängige Cochrane-Collaboration in einer Überblicksarbeit die Studien ausgewertet.
Die Überraschung: Die Forscher fanden nur drei belastbare Studien, die Effekte von Modafinil oder seinem Pendant Armodafinil auf Schichtarbeiter überprüft haben. Über 50 Studien fielen durch das Sieb. Wie schon in anderen Studien gezeigt werden konnten, halten die Substanzen tatsächlich wach. Ob gegenüber Koffein entscheidende Vorteile bestehen, konnten die Wissenschaftler nicht feststellen. Sie weisen aber darauf hin, dass die beiden Arzneimittel bei einigen (10%) Teilnehmern zu leichter Übelkeit führten, andere klagten über Hautirritationen. In einer Studie klagten 26% der (200 mg) Modafinilgruppe über Kopfschmerzen, allerdings taten dies auch 19% in der Placebogruppe.
Die Leiterin der Cochrane Studie, Juha Liira vom finnischen Institut für Arbeitsgesundheit: "Die Forschungslücke ist verwunderlich. Es kann sein, dass eine weitergehende Erkundung der Medikamente aus ethischen Gründen abgelehnt wird, weil die Arbeiter keine Substanzen einnehmen sollen, um ihrer Tätigkeit nachgehen zu können. Unsere Übersichtsarbeit zeigt die mangelnde Evidenz dafür, sie über einen kurzen Zeitraum hinaus einzunehmen."
Auch ESA und NASA setzen auf die segnende Kraft der Chemie. Eine jetzt im Lancet veröffentlichte Studie weist darauf hin, dass auf 80 Space Shuttle Missionen mindestens 10 Mal Modafinil eingesetzt wurde. Auf 13 Missionen zur ISS wurde die leistungsfördende Substanz zwei Mal von Astronauten eingesetzt.