Der Nazi-Detektor
"Ich sympathisiere mit Hitler": Der HitlerPornoTrier-Komplex - das Filmfestival von Cannes erklärt Lars von Trier zur Persona Non Grata
"Ich habe entdeckt, dass ich ein Nazi bin. Das bereitet mir ein gewisses Vergnügen. Ich verstehe Hitler, auch wenn er einige falsche Entscheidungen getroffen hat. Ich sympathisiere sogar ein bisschen mit ihm." Außenseiter unter sich - fassungslose Stille und peinlich berührtes Gelächter war die erste spontane Reaktion auf diese Äußerungen, gestern Mittag während der Pressekonferenz zu von Triers neuem Film "Melancholia" im Wettbewerb beim Filmfestival von Cannes.
An diesem Donnerstag dann kam die Antwort: Das "Bord of Directors" - "ein Club von zehn alten Sarkozy-Anhängern", so ein erfahrener Festivalbesucher aus Deutschland - des Festivals, bei dem von Trier regelmäßig zu Gast ist und schon viele Preise gewonnen hat, unter anderem vor elf Jahren die Goldene Palme für "Dancer in the Dark", erklärt den dänischen Skandal-Regisseur zur Persona Non Grata. Da half auch jene Presseerklärung von Trier wenige Stunden zuvor nichts mehr, in der der Über-Regisseur versicherte, es tue ihm leid, sollte er jemanden beleidigt haben. Was war geschehen?
Wenn man ein wenig von Lars von Trier weiß, womöglich sogar schon einmal einen seiner öffentlichen Auftritte erlebt oder mit ihm gesprochen hat, kann man sich über solche Äußerungen nicht besonders aufregen. Von Trier ist immer ein Provokateur, gelegentlich ein Zyniker, und oft genug schießt er mit seinen Äußerungen einfach über das Ziel hinaus. Offenkundig steckt hinter solchen Ausrastern auch ein gewisser, nur halb kontrollierter Selbstzerstörungstrieb des Regisseurs, der in der Vergangenheit offen zu seiner Depression gestanden hat. Man weiß auch, dass der Däne sich sehr leicht provozieren läßt, und dass es in der Schar der Berichterstatter gerade in Cannes genug Leute gibt, die es genau darauf anlegen, die Schwäche auszunutzen, um einen Von-Trier-Ausraster herbeizuführen. Es gibt auch genug, die von Trier einfach nur hassen, oder sie nicht verstehen und sich dann auf solche Art abreagieren.
Gerade die deutsche Presse hat bei derartigen Großereignissen auch ihren implantierten Nazi-Detektor aktiviert und fahndet nach möglicherweise anrüchigen Äußerungen. Statt nun aber in die kompliziertere Semiotik einzutauchen und diejenigen aufzuspüren, die gewandt eingängigen Mainstreams oder glatten Kunstgewerbes Gedankengut transportieren, das bei genauerem Hinsehen tatsächlich überaus fragwürdige Züge aufweist, kommt dann einer wie Lars von Trier vermeintlich gerade recht: Er tappt tatsächlich (oder scheinbar?) in jeden aufgestellten Fettnapf, und man tut der Mehrheit der germanischen Kollegen nicht unrecht, wenn man feststellt: Es gibt auch manche, die jetzt dankbar sind, endlich den diesjährigen Festivalnazi entdeckt zu haben.
Auch sonst gab Lars von Trier dem Affen Zucker: "Ich bin kein Antisemit, aber Israel mag ich auch nicht." "Lange dachte ich, ich wäre jüdisch und war glücklich." "Ich werde als nächstes mit Kirsten Dunst einen Porno drehen. Sie wollte das."
Wie gesagt: Wer Lars von Trier und seine Sentenzen auf Pressekonferenzen ernst nimmt, ist selber schuld.
Er glaubt nicht an Gott, aber ans Ende der Welt
Vielleicht sollte man sich einfach besser mit seinen Filmen beschäftigen. "Melancholia" ist fraglos großes Kino und großer Wille: Sterne und Galaxiennebel im Weltall, ein kosmologischer Blick, unter dem auf einmal der Mensch ganz klein wird. Eine Geschwistergeschichte: Justine und Claire, zwei erwachsene ungleiche Schwestern, gespielt von Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg. Zeit und Raum sind nicht näher bezeichnet. Man begleitet Justine zunächst auf ihrer prächtigen Hochzeitsfeier, die von Claire und deren reichem Gatten und überquellendem Luxus und in alten Ritualen ausgerichtet wird.
Diese erste halbe Stunde wirkt ein wenig wie von Triers Version von Vinterbergs "Das Fest" und Hanekes "Das Weiße Band" - das Portrait einer bürgerlichen Gesellschaft, hinter deren prächtiger Fassade sich ein Abgrund an Amoral und Verzweiflung auftut. Man erfährt, dass Justine depressiv ist, und ihre Ehe wird die Hochzeitsnacht nicht überstehen. Schwerer wiegt, dass ein meteorenhaft sich aufführender Planet an den nächsten Tagen knapp an der Erde vorbeirasen soll. Justine aber ahnt Schlimmeres - und am Ende des Films tritt tatsächlich der Weltuntergang ein!
Trier inszeniert das mit abstrakter Reduktion, Zeitlupen und viel opernhaftem Pathos - zur Musik von Wagners "Tristan". "Melancholia" ist fraglos kühl und ironisch. Lars von Trier glaubt nicht an Gott, aber ans Ende der Welt und teilt uns diese Gewissheit mit einem gewissen sarkastischen Vergnügen mit. Wo andere die Heiligkeit des Lebens feiern, entfaltet Trier einen apokalyptischen Abgesang. Aber der visionären Kraft seiner Bilder, ihrer Eleganz und dem erzählerischen Mut werden sich auch Triers Kritiker nicht ganz entziehen können.
Andere sehen alles sowieso gelassener: "Von Trier ist wie Real-Trainer Mourinho" meinte die spanische Kollegin Violeta Kovacsics, allerdings ein erklärter FC-Barcelona-Fan. So ist es wohl. Er ist "the special one".