"Der Prozess in Katalonien wird weitergehen"

Trotz der großen Ablehnung im spanischen Parlament hält Katalonien an einer Abstimmung über die eigene Souveränität fest

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Der katalanische Regierungschef Artur Mas ist am Dienstag nicht in die spanische Hauptstadt Madrid gereist, um vor dem Parlament die katalanische Forderung zu vertreten, eine Volksabstimmung über die Souveränität Kataloniens durchzuführen. Das hatten Vertreter der verschiedenen Fraktionen des katalanischen Parlaments übernommen, die mit einer Zweidrittelmehrheit dafürgestimmt hatten.

"Wir sind gekommen, um ein Abkommen über eine Befragung möglich zu machen, das nötig ist und, wenn man will, auch möglich ist", sagte Jordi Turull, der Vertreter der konservativen CiU von Mas. Auch die Vertreterin der Republikanischen Linken (ERC) machte wie der Vertreter der linksgrünen ICV klar, dass es "keinen Rückweg" mehr gäbe, denn man habe das Gefühl, dass Spanien "nicht respektiert, wie wir sind, wie wir sprechen, wie wir denken und träumen", sagte die ERC-Vertreterin Marta Rovira in den zehn Minuten, die den drei Katalanen eingeräumt wurden. Es ging in der Debatte darum, die Kompetenz dafür zu erhalten, eine nicht verbindliche Abstimmung am 9. November durchzuführen, die von Millionen in Katalonien gefordert wird.

Es war allerdings schon im Vorfeld klar, dass der Antrag abgelehnt werden würde. Dafür reicht schon die absolute Mehrheit der rechtskonservativen Volkspartei (PP), die mit allen Mitteln eine Abstimmung verhindern will. Doch auch die Sozialdemokraten (PSOE), deren Sektion in Katalonien gespalten ist, weil auch Teile der PSE für das Selbstbestimmungsrecht Kataloniens eintreten, stimmten gegen den Antrag. Deshalb wird darüber nun nicht weiter im Parlament verhandelt.

Regierung verweist auf Verfassung

Wie es aus der Debatte um die Ukraine und die Krim bekannt ist, argumentierte auch der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy, dass die Souveränität allein beim spanischen Volk läge. Das Vorhaben sei unvereinbar mit der spanischen Verfassung. "Man beansprucht eine Souveränität, die es nicht gibt", sagte er, da die "spanische Verfassung keine provinzielle oder lokale Souveränität kennt." Er drängte auf einen irreversiblen Verbleib von Katalonien in Spanien, weil er sich "weder Spanien ohne Katalonien noch Katalonien außerhalb Spaniens und Europas vorstellen kann“.

Ein unabhängiges Katalonien würde "eher der Insel von Robinson Crusoe ähneln", meinte Rajoy, dabei hätte eher Spanien Probleme mit dem Ausscheiden der wirtschaftlich bedeutsamen Region. Er forderte die Katalanen auf, eine Verfassungsreform auf den Weg zu bringen, wie sie kürzlich auch das Verfassungsgericht als Möglichkeit sogar für eine Unabhängigkeit in den Raum gestellt hatte. Und auch das höchste Gericht hatte den Katalanen das Selbstbestimmungsrecht nicht abgesprochen. Es hatte nur geurteilt, es sei mit der Verfassung unvereinbar, dass eine Region "einseitig ein Referendum zur Selbstbestimmung ansetzt". Spanien könnte sehr wohl die Kompetenz an die Katalanen für diesen Zweck abgeben, wie es auch Großbritannien in Schottland tut und dafür sorgt, dass eine demokratische Entscheidung möglich wird. Am 18. September dürfen die Schotten sogar verbindlich über die Unabhängigkeit von Großbritannienabstimmen und man hat sich auch auf eine Frage geeinigt.

Die, die das Vorhaben einer Volksabstimmung in Katalonien unterstützen, werfen der Regierung vor, praktisch jeden Weg zu verschließen und real keinen Dialog oder Verhandlungen führen zu wollen. Wer nicht einmal im Parlament eine Debatte darüber zulasse, ob Katalonien eine unverbindliche Volksbefragung durchführen kann, wird mit seiner Mehrheit auch jeden Versuch einer Verfassungsreform abschmettern. Die Regierung hatte einst sogar extra die Einberufung von Referenden unter Strafe gestellt.

"DPP und die PSOE können nicht das Ende der Geschichte erklären"

So machten Vertreter aus dem Baskenland darauf aufmerksam, dass Spanien einst nur "ein Problem" hatte. Da die geplante Abstimmung über einen "freien Anschluss" dort verboten und eine Reform des Autonomiemodells in Madrid abgeschmettert wurde, habe Spanien nun schon "zwei Probleme", sagte Aitor Esteban. Der Sprecher der großen Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) sagte: "Ich glaube nicht, dass das Ergebnis der Abstimmung das Thema beendet." Der baskische Regierungschef Iñigo Urkullu fordert Rajoy auf, die "Vogelstrauß-Politik" aufzugeben und den "Kopf aus dem Sand" zu ziehen. Sonst würden die Probleme nur noch größer.

Auch die linken katalanischen und baskischen Parteien verteidigten die Abstimmung genauso wie die spanische Vereinte Linke (IU). Die warf den Sozialdemokraten ihre Scheinheiligkeit vor, dass sie plötzlich ein "föderales Spanien" forderten, aber bisher nie etwas dafür getan hätten. Ihr Sprecher Joan Coscubiela verteidigte die Abstimmung "aus tiefer demokratischer Überzeugung" angesichts derer, die demokratische Mitbestimmung seit Jahrzehnten unmöglich machen. Mit Blick auf das Nein der PSOE zur Abstimmung warf er der nationalistisch geprägten Partei ihre Widersprüche vor: "Es kann keinen föderalen Prozess ohne das Selbstbestimmungsrecht geben."

Es wäre nie zu dieser Situation gekommen, wenn es in Spanien eine "minimale demokratische Kultur gäbe", sagte Mikel Errekondo von der baskische Linkskoalition Amaiur. Auch er warf den beiden großen Parteien ein merkwürdiges Demokratieverständnis vor, mit dem man sich an einmal gemachte Gesetze klammere. "Die Demokratie steht über den Gesetzen" und das Selbstbestimmungsrecht ist im internationalen Recht verankert. "Heute wie früher verstecken sie sich hinter der Legalität." Doch das sei die von ihnen gemachte Legalität, warf er PSOE und PP vor. "Es ist ihre Verfassung, ihr Verfassungsgericht und wie früher gibt es weiter die Bedrohung durch ihr Militär."

Schon der Sprecher der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) machte klar, dass der Vorgang mit dem klaren Nein von 299 gegen 47 Stimmen, die für den Antrag waren, die Debatte nicht beendet ist. "Ein von der Mehrheit in Katalonien angestoßener Prozess kann nicht per Dekret beendet werden", sagte Alfred Bosch. Die PP und die PSOE könnten nicht "das Ende der Geschichte" erklären. Sie könnten es zwar versuchen, aber es werde ihnen nichts nützen, fügte er an.

Auch der katalanische Regierungschef Mas machte nach der Abstimmung deutlich, dass das Nein nichts am Willen der Bevölkerung in Katalonien ändern werde. Dieses "schmerzhafte und vorhersehbare" Nein ändere nichts. "Der Prozess wird voranschreiten", denn auch eine klare Mehrheit im spanischen Parlament könne sich nicht über den Willen einer großen Mehrheit in Katalonien hinwegsetzen. Er will weiter nach einem legalen Rahmen für eine Volksbefragung setzen und forderte Rajoy auf, "ein Datum und eine Urzeit" festzulegen, wenn er wirklich zu Verhandlungen bereit sei. Seine "Hand bleibe ausgestreckt", fügte er an und sprach von einer verlorenen Chance