Die Schüsse von L.A.

Robert Kennedy und Martin Luther King in Washington, D.C. (Juni, 1963)

(Bild: Abbie Rowe, National Park Service/John Fitzgerald Kennedy Library, Boston - John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston / gemeinfrei)

50 Jahre nach dem Attentat auf seinen Vater bezweifelt Robert Kennedy junior die Täterschaft von Sirhan Sirhan

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Am 5. Juni 1968 hatte Senator Robert Kennedy gerade in einer dramatischen Abstimmung die Primaries in Kalifornien gewonnen und war damit auf dem besten Wege, wie schon sein Bruder John gegen den Kandidaten der Wallstreet, Richard Nixon, anzutreten.

Roberts Wahlkampfthemen waren der Kampf gegen den in den USA tief verwurzelten Rassismus und die Beendigung des Vietnamkriegs – einem Projekt von CIA und Pentagon. Fünf Jahre zuvor hatten sich die Kennedy-Brüder wegen der Kubapolitik mit den Hardlinern überworfen und einen regelrechten Kleinkrieg gegen die eigenen Sicherheitsbehörden geführt. Als die Rivalität durch die Schüsse von Dallas beendet wurde, hatte Robert direkt bei der CIA gefragt, ob diese seinen Brüder getötet habe.

Seine temperamentvolle Verdächtigung hatte Robert allerdings nur hinter verschlossener Tür geäußert. Die Kennedy-Familie akzeptierte die Staatsräson, denn schon wegen des Rassenkonflikts hätte eine öffentliche Beschuldigung der Hardliner buchstäblich "Blut in den Straßen" zur Folge gehabt. Außerdem fehlten Robert Beweise, um die Beurteilung der Warren-Kommission zu widerlegen, die den Jahrhundertmord einem verrückten Einzeltäter anlastete. Als künftiger Präsident der USA hingegen hoffte Robert, den Fall wieder aufzurollen zu können und alte Rechnungen zu begleichen.

Seinen Sieg bei den Primaries feierte Robert im Ambassador-Hotel in Los Angeles, das als Wahlkampfquartier diente. Nach einer fulminanten Rede wollte Robert das Hotel durch die Küche verlassen, wo er wie stets die Hände einfacher Arbeiter schüttelte. Dann fielen Schüsse. Die erste Kugel traf Kennedys Wahlhelfer Paul Schrade, prallte jedoch von dessen Schädel ab, er lebt noch heute. Insgesamt sechs Personen wurden verletzt, allein drei Kugeln trafen Robert Kennedy, der am Folgetag verstarb.

Unstreitig hatte ein Mann, Sirhan Sirhan, frontal vor Robert Kennedy gestanden und aus einem Revolver des Kalibers 22 auf diesen gezielt, jedoch zunächst Schrade getroffen. Ein Kellner sagte aus, er habe Sirhan bereits nach dem zweiten Schuss am Handgelenk gepackt und ihn nach unten gerissen. Zwei weitere Zeugen, die sich ebenfalls auf den Mann stürzten, erinnern sich, nach dem zweiten und dritten Schuss eingegriffen zu haben. Der Schütze habe stur die Trommel leer geschossen. Alles andere ist jedoch nach wie vor unklar.

Zweiter Schütze?

Unbewiesen ist insbesondere, ob der tödliche Schuss auf Robert Kennedy tatsächlich von Sirhan stammte. So sagten die Zeugen aus, Sirhan sei dem Opfer nicht sehr nahe gekommen. Dennoch fand man Pulverspuren an Roberts Jacke und an seinen Haaren, was auf geringe Distanz zu einer Waffe schließen lässt. Nach Meinung des Forensikers wurde Robert Kennedy von hinten erschossen, obwohl er seinem mutmaßlichen Todesschützen frontal gegenüber stand.

Eine Erklärung für die Schussrichtung wäre ein mögliches Umdrehen Kennedys, dessen letzte Worte "How´s Paul?" dem Wohlergehen seines hinter ihm befindlichen Freundes Paul Schrade galten. Kennedys Sohn Robert Kennedy junior, ein bekannter Umwelt-Anwalt, hält von dieser Theorie wenig, da kein Zeuge derartiges berichtet hat.

Während die ursprüngliche Untersuchung alle acht Projektile der Waffe zuordnete, die Sirhan in den Händen hielt, kamen andere Experten zu dem Ergebnis, dass die drei auf Kennedy sowie auf den ABC-Reporter Weisel geschossenen Kugeln aus einer anderen Waffe stammten und zudem ein anderes Fabrikat aufwiesen. Eine 1975 richterlich angeordnete Untersuchung bestätigte diesen Befund.

Auf Fotos konnte man außerdem erkennen, dass Polizisten Löcher im Türrahmen untersuchten. Angeblich sei kein Metall darin gefunden worden, der Türrahmen war inzwischen vernichtet worden. Erstaunlicherweise wurden etliche Beweismittel wie etwa Tatortfotos ebenfalls entsorgt, darunter auch solche, die von Privatleuten beschlagnahmt worden waren.

Als eigentlicher Todesschütze wurde von manchen der Sicherheitsmann Eugene Cesar verdächtigt, zu dessen Schussposition die Schusswunden passen können. Tatsächlich hatte Cesar seine Schusswaffe gezogen, angeblich eine .38er, will aber nicht gefeuert haben – so wie es allerdings ein Zeuge beobachtet haben will. Tatsächlich besaß Cesar auch eine .22er, über deren Verbleib er widersprüchliche Angaben machte. Cesar war auch zuständig dafür gewesen, dass die Küche eigentlich aus Sicherheitsgründen leer sein sollte.

In die Trommel von Sirhans .22er passten genau acht Geschosse. 2005 wurde ein Tonbandmitschnitt des polnischen Journalisten Stanislaw Pruszynski forensisch untersucht, der damals die Rede aufgenommen hatte. Nach Meinung des Toningenieurs Philip Van Prag sind auf der Aufzeichnung mehr als acht Schüsse zu hören, möglicherweise 13. Einige davon seien so dicht hintereinander zu hören, dass sie kaum aus derselben Waffe stammen könnten. Eine ungewöhnlich schnelle Schussfolge war auch den Ohrenzeugen aufgefallen. Die Zeugen wollen sich allerdings an acht Schüsse erinnert haben.

Manchurian Candidate?

Statt die nicht nachgewiesene Tat abzustreiten und auf die rückwärtige Schusswunde zu verweisen, beschränkte sich Sirhans Verteidiger erstaunlicherweise darauf, den Angeklagten für unzurechnungsfähig zu erklären. Der Beschuldigte will sich an nichts erinnern können und sitzt seit nunmehr 50 Jahren hinter Gitter. Zwar fehlt ein Geständnis, jedoch fand man seltsamerweise Aufzeichnungen, in denen Sirhan mantramäßig Robert den Tod schwor. Der Geschworenen-Jury reichte dies, um Sirhan zu verurteilen.

Mitte der 1970er Jahre allerdings erfuhr die Öffentlichkeit aus Untersuchungen, dass die CIA seit Jahrzehnten professionelle Mordanschläge organisierte. Für verdeckte Morde entwickelte man nicht nur getarnte Spezialwaffen, sondern hatte unter höchster Geheimhaltung an einem Programm namens MKUltra gearbeitet, mit dem man Menschen durch Drogen, Schocktherapie und Hypnose in willenlose Killer verwandeln wollte. Die CIA-Wissenschaftler waren davon überzeugt, dass dies möglich sei. Namhafte Psychologen und Hypnotiseure halten eine solche Fremdsteuerung für realistisch.

Bei Tests stellte sich heraus, dass Sirhan zu den wenigen Menschen gehörte, die extrem leicht hypnotisiert werden können. Unter Hypnose will sich Sirhan an Details der Tat und einen zweiten Schützen erinnert haben, was er im Wachzustand nicht bestätigen könne. Offenbar habe er geglaubt, sich während der Tat auf dem Schießstand zu befinden. Robert Kennedy jr. besuchte Sirhan im Dezember 2017 und ist von dessen Unschuld überzeugt. Dass jemand zu Unrecht im Gefängnis säße, hätte seinen Vater als vormaligen Justizminister kaum gefallen.

Rockefeller-Kommission

Die Wahl von 1968 gewann Richard M. Nixon. Dessen zweite Amtszeit wurde durch den Watergate-Skandal, in den Ex-CIA-Leute verstrickt waren, 1974 vorzeitig beendet. Als 1975 auch die Mordprogramme der CIA ruchbar wurden, befasste sich eine Kommission erneut mit den Attentaten auf die Kennedys und Martin Luther King (Rockefeller-Kommission unterschlug 86 brisante Seiten).

Deren Leiter, der neue Vizepräsident Nelson D. Rockefeller, litt allerdings an einem brisanten Interessenkonflikt: Der Milliardenerbe hatte in den 1950er Jahren seinem engen Freund, dem CIA-Chef Allen Dulles, das Horror-Programm MKUltra finanziert. Wo immer Rockefeller Schürfrechte beanspruchte, sorgte die CIA für die politische Durchsetzung (Die CIA und das Öl).

Rockefeller, der Nixon finanzierte und den Kennedys das Weiße Haus neidete, vermochte an den Ermittlungen so wenig auszusetzen wie Allen Dulles, der einst die Warren-Kommission dominierte. Autoren wie David Talbot sehen Rockefeller und seinen Henker Allen Dulles als treibende Kraft hinter den historischen Morden.

Darüber könnten die noch gesperrten Tausende Dokumente zum JFK-Attentat Aufschluss geben. Der aktuelle Präsident jedoch hat sein Versprechen, die noch gesperrten Ermittlungsakten freizugeben, offensichtlich nicht gehalten.

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Von Markus Kompa ist als Telepolis-eBook erschienen: Cold War Leaks. Geheimnisvolles und
und Geheimdienstliches aus dem Kalten Krieg.