Die Wiederkehr der Unruhen in Iran
Mindestens acht Tote: Die Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften der Regierung und Mitgliedern der Protestbewegung eskalieren
Mindestens vier Menschen sind am Sonntag in Teheran im Zusammenhang mit Straßenprotesten ums Leben gekommen. Diese Zahl wird auch von offiziellen iranischen Quellen bestätigt. Auf Webseiten, die der Opposition nahestehen, schätzte man gestern abend die Zahl der getöteten Protestierenden allein in Teheran auf ungefähr 8 bis 10. In deutschen Medien wurde - gestützt auf Informationen der oppositionellen Internetseite Jaras - berichtet, dass es auch bei Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Protestierenden in Tabriz im Nordwesten Irans vier Tote gegeben habe.
Während sich die offiziellen und halboffiziellen iranischen Nachrichtenagenturen zurückhielten und nur spärlich über die Straßenproteste in Iran berichteten, brachten die westlichen Nachrichtenkanäle im stündlichen Staccato neue Videos, Berichte und Updates aus Teheran - wie im Sommer nach Wahl, als sich die Proteste hochschaukelten. Sechs Monate später also die Neuauflage des Info-Wars über Zahlen und Fakten bei Straßenunruhen; so bestreitet der Teheraner Polizeichef, dass seine Sicherheitskräfte etwas mit den Toten zu tun haben könnten, da sie nicht im Besitz von Feuerwaffen gewesen seien. Aber wer wird ihm glauben?
Die Regierung hat es nicht geschafft, die Opposition zu zermürben. Trotz vielfacher Einschüchterung, trotz Schauprozesse, trotz deutlicher Ermahnungen des obersten geistlichen Führers zur "Bürgerruhe" kann die Protestbewegung nach wie vor sehr große Menschenmengen mobilisieren - das zeigte sich beim Tod des Großayatollahs Montaseri, der eine Symbolfigur der Opposition war und das zeigte sich, wie erwartet, in den darauf folgenden Tagen der Trauer (siehe Tod mit gefährlichen Folgen).
Dass sie in den schiitischen Monat Muharram mit seinen Trauerprozessionen und Passionsritualen fielen, kam der Opposition zugute. Nicht genehme Versammlungen konnten von Regierungsseite weniger leicht unterbunden oder so gestört werden, dass sie wirkungslos blieben. Für die Regierung auch ein Zeichen dafür, dass sie die Theologenstadt Ghom nicht unter Kontrolle hat. Und für die Theologen dort ein Zeichen dafür, wie groß die Opposition gegen die gegenwärtige Regierung der islamischen Republik ist.
Dass gestern, am feierlichen Höhepunkt des Ashurafestes, ein Neffe Mussawis, einer der Führerfiguren der Oppositionsbewegung, getötet wurde, ist symbolisch bedeutungsvoll und dies eindeutig zugunsten der "grünen Bewegung". Das Ashurafest gedenkt des "Opfergangs" von Husain, dem Enkel des Propheten Muhammed, der sich einer Übermacht, geführt vom umstrittenen Kalifen Yazid, stellte und sein Leben "im Kampf für die gerechte Sache" einbüßte, im Jahre 680 bei Kerbela. Der für die Schiiten konstituierende Moment spielt in heutige politische Kämpfe mit hinein. Mit der populären Gleichung - Yazid = nicht-legitime Regierungsgewalt=gleich die derzeitige Regierung Ahmadinedschad samt geistlicher Eminenz im Hintergrund; und die gerechte Sache = Husain = Mussawi - wird die Regierung Ahmadinedschad propagandistisch noch einige Mühe haben.
Zugleich werden Anzeichen dafür gemeldet, dass sich die Protest-Bewegung erweitert hat, dass ihr schon länger nicht mehr nur urbane, gut ausgebildete Jüngere angehören, sondern dass größere Teile des Mittelstandes Sympathien erkennen lassen und sich ihr angeschlossen haben. Der Protestbewegung würden sich nun auch Personen anschließen, die dies vor Monaten noch nicht gewagt hätten, heißt es in Medienberichten. Die Proteste haben sich über Teheran hinaus ausgeweitet; aus Trabriz, Shiraz und Maschad wurden ebenfalls Straßendemonstrationen gemeldet.
Berichte von Le Monde und der New York Times geben den Eindruck wieder, dass sich die Konfrontation der beiden Lager erheblich verschärft habe. Die Oppositionellen würden demnach unerschrockener und zum Teil auch gewalttätiger gegen Bassidsch und andere Sicherheitskräfte vorgehen. Mittlerweile sollen Führer die Protestierenden zu mehr Zurückhaltung aufgefordert haben, um zu verhindern, dass die andere Seite noch härter zuschlage. Zitiert wird Ezatollah Sahabi mit der Warnung, dass das Regierungslager bereit sei, "eine Million zu töten".
Der Tod Ali Mussawis wird von unbestätigten westlichen Berichten, die sich auf Informationen einer oppositionellen Webseite sowie Aussagen eines mit Mussawi befreundeten Filmregisseurs berufen, als möglicherweise "gezielte Tötung" dargestellt. Mussawi soll von seinen Mördern abgepasst, mit dem Auto überfahren und dann erschossen worden sein. Laut Le Monde gibt es noch mindestens einen anderen - ebenfalls unbestätigten Fall -, in dem regierungstreue Kräfte versuchten, an einem Familienmitglied eines Oppositionellen ein "warnendes Exempel zu statuieren".