Die digitale Party: läuft
Wenn derzeit schon die Welt runtergefahren wurde, dann kann man ja wenigstens den digitalen Abenteuerspielplatz starten. Hoffentlich finden wir da jemals wieder heraus
Da mag Nellie Bowles in der New York Times noch so lamentieren darüber, dass wir heute weit, weit weg von digitalem Detox sind und die Sorge um die eigene Screen Time mit einem leisen Seufzen verpufft: Derzeit hängen wir alle am Bildschirm wie dehydrierte Kranke an der Kochsalzlösung. Geht ja nicht anders, wenn man den ganze Tag von einem Homeoffice-Call in den nächsten hüpft und sein Team so oft auf Video sieht, dass man sich ernsthaft in einer polygamen Beziehung mit der Firma empfindet. Zumindest mit dem digitalen Teil davon.
Aber damit hört die Party natürlich nicht auf. Sie fängt jetzt gerade erst an. Microsoft hat die meisten seiner Events bis ins Jahr 2021 bereits voll digital aufgesetzt. So schnell wird man sich wohl nicht mehr leibhaftig zu einem MGX versammeln, die Zeiten von 20.000 Angestellten im Superdome von New Orleans sind wohl erst einmal vorbei. Zukünftige Treffen werden wohl eher an eine Netflix Party erinnern, wo zeitgleich und via Synchronisationslink mehr oder weniger unterhaltsame Inhalte aus dem Streamingdienst gemeinsam kommunizert werden. Aber jeweils im eigenen Wohn... pardon... Arbeitszimmer.
Musiker bringen zum Beispiel mit Endless Apps auf den Markt, die ein gemeinsames, dezentrales Jammen ermöglichen. So lustig wie ein Familienfest auf der Basis eines massiven Postkartenasutausches. Aber immerhin, man kann noch zusammen musizieren und spielt sich nicht alleine in Solorage.
Und wem das alles nicht reicht, der kann inzwischen auch digital nachgebaute Schulen in Minecraft besuchen, wie die einer japanischen Elementary School. Da soll es zwar in der Turnhalle nicht nach müffelnden Jungssocken riechen, aber sonst kann man angeblich schon ganz gut dieses Schulgefühl erzeugen, das vor allem unsere Kinder nicht missen möchten. Vermutlich gibt es dort auch einen Raum, wo man zusammen eine Netflix-Party starten oder zusammen online musizieren kann. Vielleicht sogar mit Microsoft-Angestellten.
Ja, die digitalen Spielplätze sind eröffnet und schießen in Zoom, Skype, Hangout oder Teams wie die Pilze aus dem Boden. Wenn es nicht geschmacklos wäre, würde man von einem Online-Virus sprechen, der derzeit nicht wirklich zu stoppen ist. Immerhin ein einigermaßen kompensierender Ersatz für die ersten Nachmittage im Biergarten und den gepflegten Fußball auf dem Pausenhof.
Ich mache mir eigentlich keine Sorgen, dass es dabei bleiben wird, selbst wenn irgendwann wieder der Hausarrest für uns alle aufgehoben sein wird. Es könnte dann nur sein, dass Schüler auf die Idee kommen, an ihrer wirkliche Schule selbst weiterzubauen und nicht nur in Minecraft Klötze zu setzen. Oder in New Orleans treffen sich plötzlich Tausende vor Ort für eine Netflix-Party. Aber hey: Nichts soll ja so bleiben, wie es einmal vor Corona war.