Du bist, wer ausgerechnet Du bist

Neben der Spur

Schöne neue App-Welt. Da denkt man noch, man ist der, als der man sich fühlt. Und dann wird man berechnet.

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Immer möchte man sagen: Ich wei?; wer ich bin. Das kann ich genau fühlen. Und dann stellt man fest, dass jemand von au?en nachrechnet und sagt: nö, wir wissen es besser. Natürlich nicht komplett und bis zur letzten Haarwurzel, aber viele kleine Datenabzapfer und Besserwisser sind schon unterwegs.

Nicht lustig, wenn man zum Beispiel eines schrecklichen Tages den Verdacht auf Bauchspeicheldrüsenkrebs schon alleine deshalb nicht mehr los wird, weil eine App mit der Hilfe eines Selfies denselben feststellen kann. Dieses an der Universität von Washington entwickelte Programm erkennt am Wei? der Augen, ob man zu den 91 Prozent gehören könnte, die die nächsten fünf Jahre nicht überleben. Schauderhaft. Aber dafür kann das Stück Software ja nichts. Im Gegenteil, es berechnet; wer man ist. An den Augen. Und erhöht durch frühzeitige Erkennung die Überlebenschance.

Den Menschen berechnen ist irgendwie in den vergangenen Jahren chic geworden. Das geht ja schon damit los, dass das neue Handy von Sony mittlerweile ein perfektes 3D-Selfie erstellen kann. Wohlgemerkt nicht dazu, um anhand der Haarwurzel oder dem Biegungsgrad der Ohrmuscheln auch noch Lungenödeme feststellen zu können. Nein, da geht es erst einmal um die pure Berechnung von Festkörpern, die nicht unbedingt menschlicher Natur sein müssen.

Obwohl... daran, dass nicht alles menschlich ist, was sich auch wie ein Mensch benimmt, haben wir uns ja schon länger gewöhnt. Nicht erst, seit Künstliche Intelligenz mit ein wenig Training Restaurantrezensionen schreiben kann, die irgendwie an die langweiligen Yelp-Labereien erinnern, die sonst ein einsamer Nulllohnpraktikant im dunklen Kämmerchen von sich geben muss.

Das kennen wir alles, aber wenn wir in einer Art berechnet werden, die uns sagt, dass wir gar nicht in dem Alter sind, in dem wir sind, dann wird es hackelig. Will sagen: Tom Tom liefert ein Produkt aus, das einem anhand der eigenen Fitnessdaten sagt, in welchem Fitnessalter man sich eigentlich bewegt…

Wenn man das Ding ähnlich gut hacken kann, wie es mein Freund Willy immer mit seinem Fitnessarmband macht, das Treppensteigen anzeigt, wenn er nur damit auf seiner alten Harley sitzt und es ordentlich durchrüttelt, dann kann das heiter werden. Bei dem Pulsschlag, den er dann auf dem Bock sitzend hat, gibt ihm Tom Tom wahrscheinlich locker das sportliche Einschulungsalter zurück. Dabei kommt Willy im nächsten Monat in die Rente. Regulär.

Man ist das, als das man berechnet wird. Krebskrank oder gesund, Rentner oder Sportler, Maschine oder Restauranttester, und das als 3D-Scan auf dem Handy von Willy. Das sind vielleicht Perspektiven, wenn man am Ende eines Sommers darüber so nachsinniert. ...