EU-Staaten verraten weißrussische Oppositionelle
Litauische und polnische Behörden gaben Daten über Oppositionelle weiter, was zur Verhaftung des Menschenrechtsaktivisten Ales Bialacki führte
Weißrusslands Alexander Lukaschenko gehört nicht unbedingt zu den Staatsoberhäuptern, die die Europäische Union als Partner ansieht. Nachdem Lukaschenko am 19. Dezember vergangenen Jahres die Proteste gegen seine umstrittene Wiederwahl zum Präsidenten niederprügeln ließ und darauf die Repressionen gegen die Opposition verstärkte, verhängte die EU Sanktionen gegen das autoritäre Regime, die im Juli sogar noch verschärft wurden.
Doch die Skepsis gegenüber dem Regime in Minsk scheint nicht grenzenlos zu sein. Während Brüssel das Vorgehen des Regimes gegen die Opposition zurecht kritisiert, helfen einige osteuropäische Mitglieder der EU dem Lukaschenko-Regime bei der Verfolgung politischer Gegner.
Bekannt wurde dies durch den Fall des Menschenrechtsaktivisten Ales Bialacki. Am 4. August wurde der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Viasna und Vize-Präsident der International Federation for Human Rights verhaftet. Steuerhinterziehung werfen die Behörden dem zweimal für den Friedensnobelpreis nominierten Bialacki vor und berufen sich dabei auf mehrere Konten des Menschenrechtsaktivisten, die er im Ausland hat. Rund eine Milliarde weißrussischer Rubel, ca. 138.000 Euro, die er nicht den weißrussischen Steuerbehörden gemeldet haben soll, sollen auf den Konten verbucht sein. Laut weißrussischem Strafgesetzbuch drohen Bialacki deswegen bis zu sieben Jahre Haft.
Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Viasna bestreiten nicht die Existenz der ausländischen Konten. Schließlich ist Viasna in Weißrussland verboten und darf deshalb keine Konten in einheimischen Banken unterhalten. Die Viasna-Mitarbeiter beteuern jedoch, dass Bialacki das aus dem Westen stammende Geld nicht für private Zwecke nutzte, sondern damit wie von den Geldgebern vorgegeben Projekte von Viasna finanzierte. Deshalb bezeichnet die Menschenrechtsorganisation die Verhaftung ihres Vorsitzenden als politisch motiviert.
Doch woher hatten die weißrussischen Finanzbehörden die genauen Informationen über Bialackis ausländische Konten? Diese Frage stellten sich die weißrussischen Menschenrechtsaktivisten nach der Verhaftung ihres Vorsitzenden und bekamen eine überraschende Antwort. Ausgerechnet das litauische Justizministerium erteilte den weißrussischen Behörden Informationen über Bialackis zwei Konten in dem baltischen Staat und lieferte so der weißrussischen Staatsanwaltschaft die Gründe für eine Untersuchungshaft.
Damit erwies sich das Justizministerium des kleinen baltischen Staates kooperativer als die zwei in Litauen beheimateten Banken, bei denen Bialacki Kunde ist. Beide verweigerten den weißrussischen Ermittlungsbehörden die Zusammenarbeit. Wie sich vergangene Woche zeigte, haben jedoch nicht nur litauische Banken Informationen verweigert. Auch polnische Geldinstitute, die von Minsk ebenfalls angefragt wurden, haben jegliche Zusammenarbeit mit den weißrussischen Ermittlungsbehörden abgelehnt. Für die Weißrussen dennoch kein Grund aufzugeben. Diese fragten kurzerhand bei der polnischen Staatsanwaltschaft nach und erhielten am 27. Juni Informationen über Bialackis Bankgeschäfte in Polen.
Politischer Skandal in Litauen und Polen
Die mit den weißrussischen Sicherheitsbehörden bekannt gewordene Zusammenarbeit löste in Polen und Litauen einen politischen Skandal aus. Während in Vilnius sich eine parlamentarische Untersuchungskommission mit dem Skandal befasst, kam es in Warschau zu heftigen Diskussionen. Denn der Fall offenbart große Kommunikationsprobleme innerhalb der polnischen Justizbehörden. Noch vor einigen Monaten wies Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet die polnischen Staatsanwaltschaften an, sich an das 1994 unterschriebene Rechtshilfeabkommen mit Weißrussland nur dann zu halten, wenn die weißrussischen Gesuche sich nicht gegen Oppositionelle richten.
Peinlich ist der Fall Bialacki für Warschau noch aus einem anderen Grund. Kaum ein anderer EU-Staat unterstützt die weißrussische Demokratiebewegung so sehr wie Polen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich nicht nur Premierminister Donald Tusk für diesen "skandalösen Fehler" entschuldigte, wie dies auch sein litauischer Amtskollege Andrius Kubilius gemacht hat, sondern auch Außenminister Radoslaw Sikorski. Doch mit den Entschuldigungen scheint die Angelegenheit nicht beendet zu sein. Am Dienstag verloren mehrere ranghohe Staatsanwälte ihre Positionen. Zudem drängt Generalstaatsanwalt Seremet darauf, das Rechtshilfeabkommen mit Weißrussland so zu verändern, dass sich zukünftig nur noch die Generalstaatsanwaltschaft selber mit den Gesuchen aus Minsk befassen soll.
Den Schock der weißrussischen Opposition konnten die Entschuldigungen und bisherigen Entscheidungen dennoch nicht mildern. "Von Schande und Verrat" sprechen sie und behaupten, dass Polen und Litauen den weißrussischen Justizbehörden auch Informationen über andere Oppositionelle weitergegeben haben könnten. Falls sich diese Vermutung sich bewahrheiten sollte, wäre dies für die Demokratiebewegung in Weißrussland gerade in dieser schwierigen Zeit ein herber Schlag. Denn mit den Geldern aus den ausländischen Konten wurden in den letzten Monaten meistens die Rechtsanwälte der vielen inhaftierten politischen Gegner Lukaschenkos bezahlt.