Einzelfälle auf politischen Vorrat speichern
Das Argumentationsmuster für die Vorratsdatdenspeicherung ist ein alter Schlapphut
Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht vom Himmel gefallen. Im Prinzip ist sie ein Kind des berühmt berüchtigten Kriminalisten J. Edgar Hoover, der die Bundespolizei Federal Bureau of Investigation (FBI) aufbaute und systematische Datenbanken von Personen anlegte, die er der Beobachtung für würdig befand. Obwohl seine Datenbestände damals noch auf Karteikarten abgelegt waren, vermochte Hoover durch seine auf Vorrat gespeicherte Daten so viel Wissen anzuhäufen, dass es sich keiner seiner acht US-Präsidenten leisten konnte, sich mit Hoover ernsthaft anzulegen.
Damit Hoover zum vermutlich mächtigsten Mann der USA aufstieg, bedurfte es eines "Jahrhundertverbrechens": der "Entführung" des Lindbergh-Babys, mit deren "Aufklärung" sich Hoover zum Volksheld profilieren konnte. Hätte die Polizei vor Ort solide gearbeitet, hätte man die Leiche des Babys nicht erst zweieinhalb Monate später in der Nähe des Elternhauses gefunden. Ob der publikumswirksam hingerichtete "Entführer" wirklich der Täter war, wird im Dunkeln bleiben, eine Sternstunde des Rechtsstaats war dies sicherlich nicht. Dieser Einzelfall wurde politisch jedenfalls dazu eingesetzt, um Hoovers FBI rechtlich und materiell aufzurüsten und in den vorgeblich so freien USA totalitäre Strukturen aufzubauen, die insbesondere während der McCarthy-Ära und dem Vietnamkrieg groteske Züge annahm.
Hoovers Methode des Vorratsdatensammelns wurde mit deutscher Gründlichkeit auch von den Geheimdiensten in West- und Ostdeutschland eifrig adaptiert und ermöglichte vor allem in der DDR eine totalitäre Kontrolle. Um die Allmacht des Ministeriums für Staatssicherheit zu begründen, bedurfte es ebenfalls der "Einzelfälle", nämlich Anschläge von westlichen Provokateuren wie der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit". Ob alle Bedrohungen wie der angeblich geplante Anschlag auf eine Eisenbahnbrücke wirklich den Tatsachen entsprachen oder vielmehr Propaganda waren, änderte nichts am Ergebnis: dem Polizeistaat. Der allerdings verhinderte nicht, dass eine Handvoll couragierter Bürger Widerstand leistete, der schließlich zur friedlichen Revolution von Menschen führte, die vor allem eins satt hatten: anlasslose Überwachung.
Die "Einzelfälle", mit denen Hoover und Mielke die unverhältnismäßigen Befugnisse ihrer politischen Geheimpolizeien begründeten, erhoben sich neulich wie Zombies aus den Gräbern, als es um die "unverzichtbare" Vorratsdatenspeicherung ging. Wegen einem angeblich durch Vorratsdatenspeicherung aufgeklärten Mordfall in Augsburg wollten Unionspolitiker die Gesellschaft mit einem Instrument überwachen, das die Kultur der Unschuldsvermutung und des Rechtsstaats massiv beeinträchtigt. Die bisweilen sehr polemischen Redebeiträge der Politiker aller Fraktionen hat der Verein Digital Courage in einem Video zusammengeschnitten.
Der Europäische Gerichtshof hat sich vom Augsburger "Lindbergh-Baby" nicht beeindrucken lassen, sondern betont, dass die Vorratsdatenspeicherung vor allem eins ist: unverhältnismäßig.