Energieabhängigkeit als Friedensstifter?
Die gegenseitige Abhängigkeit von russischen Energielieferungen könnte Politiker auf beiden Seiten vor größeren Dummheiten schützen
Die ukrainische Bevölkerung hatte in den letzten Jahren wirklich Pech mit ihrer korrupten Politikerkaste und droht im Moment, vollends zum Spielball in einem neuen Ost-West-Konflikt zu werden. Dass sich die Situation nicht noch mehr aufschaukelt und die bisherigen Sanktionen äußerst zaghaft ausfielen, ist der gegenseitigen Energieabhängigkeit der Protagonisten zu verdanken.
So stammen Russlands Exporteinnahmen zu gut fünfzig Prozent aus seinen Verkäufen an Erdöl, Erdgas und Kohle, eine ansonsten eher für Entwicklungsländer typische einseitige Abhängigkeit von Rohstoffexporten. Auf der anderen Seite ist Russland für viele europäische und EU-Länder der Energielieferant schlechthin. Laut den Zahlen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) stammten 2013 38 Prozent der deutschen Erdgasimporte aus Russland. Es ist damit vor Norwegen das wichtigste Lieferland.
Deutschland importiert zur Zeit 91 Prozent seines Verbrauchs an Erdgas und dessen Bedeutung ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Laut Bundeswirtschaftsministerium wird mittlerweile jede zweite Wohnung (49,2 Prozent) mit Erdgas beheizt. Und wären die Pläne von den sogenannten "flexiblen Gaskraftwerken" von Leuten, die den Erneuerbaren nicht zutrauen mögen, schon bald 100 Prozent des Stroms zu liefern, Realität geworden, dann würde der Verbrauch an russischem Erdgas jetzt noch höher liegen. Und die Abhängigkeit vom großen Nachbarn im Osten würde nicht nur den Wärmesektor, sondern auch noch den Stromsektor dominieren.
Und auch beim Erdöl ist die Abhängigkeit von Russland groß. Rund 35 Prozent der deutschen Erdöl-Importe stammten 2013 laut Bafa aus Russland. Und europaweit sieht es ähnlich aus. Nach Eurostat deckten die EU-Staaten 2010 35 Prozent ihres Erdöls-, 32 Prozent des Erdgas- und 27 Prozent ihres Steinkohleverbrauchs aus russischen Importen. Und genau darin besteht die Chance zu verhindern, dass Kriegstreiber Oberwasser gewinnen. In den letzten Tagen war bei uns ja sogar wieder eine Art Kriegsromantik als Loblied auf die militärische Abschreckung des kalten Krieges zu hören.
Die dominierende Energieabhängigkeit ist damit die Chance, dass die EU ihre bisher ungeschickte und unsensible Ostexpansion überdenkt und nicht in alte Ost-West Feindbilder zurückfällt. Die Putin-Regierung ihrerseits wird zwar kurzfristig innenpolitisch die nationalistische Karte auszuspielen versuchen und davon auch in Sachen Machterhalt profitieren, aber ihrerseits schnell merken, dass ohne den steten Geldstrom aus dem Westen nichts mehr geht. Und wer weiß, vielleicht macht diese Abhängigkeit voneinander am Ende möglich, dass nach der Revolution in der Ukraine ein Neuanfang gelingt und die Bevölkerung dort bald selbst entscheiden kann, wie sie denn zu Fragen regionaler Autonomie, Staatszugehörigkeit und Regelung der Amtssprachen steht.