Erdogans langer Arm streckt sich nach der deutschen Justiz aus
Spanien: Interpol zieht die Red Notice im Fall des Schriftstellers Akhanli zurück. Der schwedisch-türkische Journalist Hamza Yalcin muss aber im Gefängnis bleiben
Der ehemalige Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar, der mittlerweile in Berlin im Exil lebt, schreibt in einer Kolumne der Zeit, die Erdoğan-Regierung und die ihr hörige Justiz hätten unzählige Kritiker zur Fahndung ausgeschrieben, die automatisch an Interpol gehen würden. Bislang hätten weder Interpol noch die europäischen Regierungen diese Suchaufträge ernst genommen. Warum ändert Spanien gerade jetzt seine Haltung?
Vor ca. 3 Wochen wurde der schwedische Journalist Hamza Yalçın auf dem Flugplatz Barcelona festgenommen. Hamza ist Sozialist und Mitglied des schwedischen Schriftstellerverbands. Er lebt seit 1984 als politischer Flüchtling in Schweden und ist Herausgeber der Zeitschrift Odak ("Fokus").
Auf richterliche Anordnung wurde er in Haft genommen, berichtet Dündar. Die Türkei verlangt seine Auslieferung. Der Grund ist wie bei allen regierungskritischen Journalisten "Terrorismusunterstützung", ohne Beweise, versteht sich. Die schwedische Regierung bemüht sich bislang erfolglos um seine Freilassung.
Die internationalen Proteste um die Festnahme des Kölner Schriftstellers Akhanli scheinen allerdings Wirkung gezeigt zu haben. Außenminister Gabriel und Kanzlerin Merkel hatten gegen seine Festnahme protestiert. Merkel warf der türkischen Justiz vor, Interpol zu missbrauchen.
Bleibt die Frage, warum Spanien gerade jetzt zum Handlanger der türkischen Regierung wurde? Können dabei wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen? Denn spanische Banken gehören zu den größten Gläubigern der Türkei. Mit 87 Milliarden Dollar (82 Milliarden Euro) führten sie in diesem Jahr die Liste der internationalen Bankengläubiger in der Türkei an.
Deutscher Rentner kurdischer Herkunft vor Gericht zitiert
Gegen den kurdisch-stämmigen deutschen 68 jährigen Rentner Cemil Gültekin wurde ein Ermittlungsverfahren von einem Essener Gericht eingeleitet – auf Ersuchen der türkischen Justiz (Aktenzeichen 44 Gs 1802/17). Der Vorwurf lautet: "Beihilfe zur Unterstützung einer Terror-Organisation".
Dies berichtet die Lokalzeitung WAZ in der Essener Ausgabe am Freitag. Sein Vergehen: Er war im Juni 2015 in seine Heimatstadt Erzurum gereist, um dort die oppositionelle Partei HDP im Wahlkampf zu unterstützen. Nun gab es deswegen ein Rechtshilfeersuchen der Türkei, dem das Essener Gericht routinemäßig nachkam.
917 Fälle von Rechtshilfeersuchen aus der Türkei gab es allein im vergangenen Jahr, teilte das NRW-Justizministerium mit. In der Regel geht es dabei "um Scheidungsfälle und Fehlverhalten im Urlaub, um Vergehen beim Baurecht, um Telefonüberwachungen oder darum, Kriminelle dingfest zu machen", teilte Johannes Hidding, Sprecher des Essener Landgerichts, mit. Alles ganz unproblematisch?
Im Fall Gültekin sieht das aber anders aus. Ein beauftragter Anwalt verlangte vor Ort Akteneinsicht, die ihm verwehrt wurde. Die Akten seien geheim, hieß es in der Türkei. Der Gerichtssprecher Schütz bestätigte, dass aus der Türkei kein detaillierter Fragebogen vorlag, lediglich ein schlecht übersetzter pauschaler Vorwurf – was dann letztendlich zur Einstellung des Verfahrens führte.
Der Fall Gültekin ist mitnichten ein Einzelfall. Das Bundesamt für Justiz veröffentlichte eine Zahlenübersicht für 2015, also noch vor dem Putschversuch im Juli 2016, als die Kriminalisierungsmaschine erst richtig anlief: Demnach gab es 2015 bundesweit 65 abgeschlossene Auslieferungs-Ersuchen. In 13 Fällen handelte es sich um den Vorwurf des Terrorismus. Die Bundesrepublik lehnte in 12 Fällen eine Auslieferung ab. Details zu den Terrorismusvorwürfen sind nicht bekannt.