Europaparlament stärkt spanischen Zwangsräumungsopfern den Rücken
Gefordert werden eine Restschuldbefreiung und "außerordentliche Schritte", um das "Recht auf Wohnraum" umzusetzen
Viele Familien in Spanien, die von Zwangsräumung betroffen waren oder davon bedroht sind, hoffen wegen der Tatenlosigkeit ihrer Regierung auf europäische Institutionen. Nachdem der Europäische Gerichtshof im März spanische Hypothekengesetze wegen missbräuchlicher Klauseln mit europäischem Recht als unvereinbar erklärte, hat nun das Europaparlament den Druck auf die konservative Regierung weiter erhöht, damit Grund- und Verbraucherrechte geschützt werden. In Straßburg wurde am Dienstag ein Bericht der Französin Karima Delli (Grüne) mehrheitlich angenommen.
In der Entschließung zum sozialen Wohnungsbau wird unter anderem "zur Kontrolle von Wohnimmobilienkreditverträgen und damit zur Begrenzung der übermäßigen Verschuldung von Privathaushalten" gefordert. Aufgenommen werden sollten in Hypothekengesetze "jene bewährten Verfahren, die für die Verbraucher möglichst günstig sind". Gefordert werden "nachdrücklich" Verfahren zur Umschuldung. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert "zu verhindern, dass bereits zur Räumung gezwungene Haushalte ihre Hypothekarkredite weiterhin zurückzahlen müssen".
Damit fordert das Europaparlament die Restschuldbefreiung, für die sich auch die spanische Vereinigung der Hypothekengeschädigten (PAH) einsetzt. Sie war Teil eines Gesetzentwurfs, den die PAH auf dem Weg einer Volksinitiative (ILP) eingebracht und dafür 1,5 Millionen Unterschriften gesammelt hatte. Wie andere zentrale Punkte strich die konservative Volkspartei (PP) auch die Restschuldbegleichung bei Wohnungsübergabe an die Bank (wie in den USA üblich) mit ihrer absoluten Mehrheit gegen den Widerstand aller Oppositionsparteien aus dem Gesetz. Viele Familien sitzen weiter auf hohen Schulden, weil Banken die Immobilien nur zu 50 Prozent des Schätzwerts übernahmen und Verzugszinsen von bis zu 30 Prozent Schulden enorm anwachsen ließen.
Zwar richtet sich der Bericht an alle EU-Staaten, doch Spanien ist besonders angesprochen. Seit Krisenbeginn wurden gut 400.000 Immobilien geräumt, weil sie angesichts einer Rekordarbeitslosigkeit von fast 27 Prozent ihre Kredite nicht mehr bezahlen konnten. Dass das Europaparlament das Land speziell anspricht, wurde schon letzte Woche deutlich, als die PAH zu den Preisträgern des Bürgerpreises 20139 gehörte. Ausgezeichnet wurde sie in Spanien mit der Akademie der Baskische Sprache (Euskaltzaindia) für das "außergewöhnliche Engagement für ein besseres gegenseitiges Verständnis und mehr Integration in der EU" und für die "praktische Anwendung der Werte der EU-Grundrechtscharta (Gastfreundschaft, Toleranz, Solidarität)".
Die spanischen Konservativen fühlen sich davon angegriffen. Die PP-Präsidentin der Hauptstadtregion Madrid sprach von einer "Groteske". Die PAH-Proteste bezeichnete Esperanza Aguirre erneut als "gewalttätige Belästigung". Weil die PAH auch vor die Wohnungen von Regierungsmitgliedern zieht, werden ihr sogar "Nazi-Methoden" vorgeworfen, um die friedlichen Proteste zu diskreditieren. Der PP-Europaparlamentarier Carlos Iturgaiz sprach von einer "gewalttätigen Organisation", weshalb er fordert, der PAH den Preis wieder zu entziehen.
Die PAH-Sprecherin Ada Colau bekräftigt, dass "nur gewaltfrei" protestiert werde. Weil der PP Argumente fehlen, mache sie sich "lächerlich" und greife zum "einfachen Mittel" der "Kriminalisierung", statt Gesetze zu ändern. Colau und die PAH pochen auf Grundrechte und besetzen deshalb zum Teil auch leerstehende Wohnblocks. Und die Grundrechtecharta zitierte auch Delli in ihrem Bericht, wie Artikel 30 (Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung) und Artikel 31 (Recht auf Wohnung). Sie werden von Spanien missachtet, obwohl sie sogar in der eigenen Verfassung verankert sind. Deshalb hat sogar der Europäische Menschenrechtsgerichtshof schon Zwangsräumungen gestoppt, weil den Familien keinerlei Ersatzwohnraum angeboten wurde.
In dem vom Europaparlament angenommenen Bericht wurde nicht nur Missbrauch im Rahmen von Hypothekenverträgen festgestellt. Gefordert werden auch "außerordentliche Schritte", um das "Recht auf Wohnraum in der ganzen Union durchzusetzen", um "den dramatischen sozialen Folgen, die mit Zwangsräumungen einhergehen", wirksam zu begegnen, angesichts dessen es auch immer wieder zu Selbstmorden kommt. Vorgeschlagen wird eine "europäische Beobachtungsstelle für Wohnraum", um den Austausch bewährter Verfahren zu intensivieren. Der soziale Wohnungsbau wird zudem als antizyklische Maßnahme zur Krisenbekämpfung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen gepriesen.