Flutwellen drohen nicht allein vom Meer
Auch die spanische Regierung will plötzlich alle AKWs überprüfen
Einst wurde der Brite Tony Blair als "Pudel" von US-Präsident Georg Bush gehandelt. Dass sozialdemokratische Politiker den Vorgaben von Konservativen hinterherhecheln, findet eine Entsprechung auch im Verhältnis zwischen dem spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Egal was Berlin vormacht oder fordert, Zapatero, der auch "Bambi" genannt wird, schwenkt mit oder vollzieht brav.
In der Wirtschaftspolitik kann das hinlänglich beobachtet werden, wo Zapatero nach den Forderungen von Konservativen aus Berlin, Paris und Brüssel längst einen kopernikanischen Schwenk. Einen veritablen Doppelschwenk deutet sich nun in der Atompolitik an. Schließlich war Zapatero in den letzten drei Jahren auf den Berliner Zug aufgesprungen und hat ebenfalls Laufzeitverlängerungen ermöglicht, allerdings ganz spanisch durch die Hintertür. Doch den Sozialdemokraten, die sich in Spanien Sozialisten (PSOE) nennen, bricht vor den Regional- und Kommunalwahlen nun auch noch die Entscheidung das Genick, die Laufzeit des Uraltreaktors Santa Maria de Garoña bis 2013 verlängert zu haben.
Denn ausgerechnet dieser Reaktor ist baugleich mit den Reaktoren von General Electric in Fukushima, wo man den Super-Gau erwartet. Nun fällt Zapatero auch noch auf die Füße, dass der altersschwache Meiler in Garoña 2011 hätte abgeschaltet werden müssen, weil er die Laufzeitgrenze von 40 Jahren erreicht hat. Unter dem Eindruck der Kernschmelze in Japan schwenkt man nun in Madrid, nachdem auch Merkel in Berlin plötzlich Gefahren bei Atomkraftwerken entdeckt hat, erneut langsam um. Schließlich ist auch in Spanien Wahlkampf und so sind auch hier taktische Manöver notwendig. Nach dem Absturz in Katalonien, wo Zapateros Partei im Dezember das schlechteste Ergebnis seit dem Ende der Diktatur 1975 einstecken musste, wird die PSOE bei den Regional- und Kommunalwahlen im Mai die Macht auch in anderen bedeutsamen Regionen und Städten verlieren.
So kündigte in einem peinlichen Vorgang jetzt auch die Regierung in Madrid an, die Sicherheit der acht spanischen Meiler überprüfen zu lassen. Industrieminister Miguel Sebastián erklärte am späten Dienstag, die Regierung habe dazu beim Kontrollrat für Nukleare Sicherheit (CSN) entsprechende ergänzende Berichte angefordert. Zu weitergehenden Schritten konnte sich die Regierung (noch) nicht durchringen, denn das seien die "angemessenen Maßnahmen" die ergriffen werden müssten. Noch vor der Entscheidung in Berlin hatten aber die Umwelt- und die Finanzministerinnen noch erklärt, es sei nicht die richtige Zeit, um überhaupt über die spanischen Atomkraftwerke zu debattieren.
Auch Garoña wird demnach erneut vom CSN überprüft. Dabei soll die Aufsichtsbehörde doch erst 2009 den Reaktor ausgiebig geprüft haben. Schließlich hatte sich der CSN in seinem verspäteten Bericht damals ausdrücklich für die Laufzeitverlängerung ausgesprochen und damit die abstürzende Regierung in der schweren Wirtschaftskrise noch zusätzlich unter Druck gebracht. Doch nun sollen bei den eiligen Prüfungen in Spanien auch Erdbeben und Überschwemmungen berücksichtigt werden. Bis zum Ende der Prüfung werden aber alterschwache, erdbeben- und flutgefährdete Reaktoren am Netz bleiben, weil Spanien im Ölpreisschock mit allen Mitteln seine Ölrechnung verringern will.
Sebastián will mit Priorität das Atomkraftwerk Cofrentes prüfen lassen, weil es in einem Erdbebengebiet steht. Dabei ist der Meiler auch praktisch ungeschützt gegen einen Terrorangriff, wie Greenpeace erst kürzlich mit einer Besetzung bewiesen hat. Auf Cofrentes stürzt man sich, weil es ebenfalls ein von General Electric gebauter Siedwasserreaktor ist. Dabei sollte man glauben, dass derlei Prüfungen stattfinden, bevor man die Betriebsgenehmigung eines Reaktors um 10 Jahre verlängert. In Spanien ist das aber anders. Die Genehmigung für das 27 Jahre alte Atomkraftwerk ist ausgerechnet einen Tag vor dem schweren Erdbeben in Japan verlängert worden.
Weitsicht sähe anders aus und erneut prüft man erneut nur auf bekannte Szenarien. Der Blick wird nicht auf andere Risiken erweitert, die man bisher ebenfalls vernachlässigt wurden. Hatte nicht Merkel gerade erklärt, dass uns die Ereignisse in Japan lehren, "dass etwas, was nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurde, doch möglich werden könnte." Nähme man ernst, dass Risiken, die bisher von Regierungen "für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends unwahrscheinlich sind", sollte man in Spanien den Blick auf den ohnehin von Störfällen geplagten Reaktor Ascó werfen.
Flutwellen sind nicht nur am Meer möglich. Seit vielen Jahren warnen auch angesehene Wissenschaftler vor Gefahren, die vom unsicheren Staudamm in Itoiz ausgehen. Die Professoren Antonio Casas und Arturo Rebollo, zudem angesehene Staudammbauer, haben immer wieder auf die instabile linke Hangseite hingewiesen, auf die sich der riesige Staudamm stützt. Ein von ihnen entwickeltes Krisenszenario geht davon aus, dass ein Abrutschen des Hangs zum Brechen der Staumauer und einer Flutwelle führen kann, die das Atomkraftwerk Ascó deutlich in Mitleidenschaft ziehen könnte. Auch deshalb hatten sie stets eindrücklich davor gewarnt, den Stausee zu befüllen, was inzwischen trotzdem geschehen ist. Inzwischen ist auch bekannt, dass der Druck, den dieser Staudamm auf Verwerfungen im Untergrund ausübt, wiederum Erdbeben in der Region induziert. Das hat die Lage für die Menschen unterhalb der Staumauer und für das Atomkraftwerk am Ebro nicht gerade sicherer gemacht.
Ausgerechnet der Aufsichtsbehörde in Madrid nun wieder den Ball zuzuspielen, um sich erneut aus der politischen Verantwortung zu drücken, ist auch angesichts der Tatsache mehr als peinlich, dass der CSN immer wieder versagt. Statt Störfälle in Atomkraftwerken aufzuklären, wird er bisweilen dabei ertappt, dass er eher an ihrer Vertuschung beteiligt ist. So geschah es zum Beispiel in dem schon erwähnten Atomkraftwerk Ascó. Im April 2008 berichtete Greenpeace, dass die Betreiber schon im November 2007 Radioaktivität nach außen leiteten und dafür sogar Messinstrumente manipulierten.
Die Regierung Zapatero hat sich auch in der Atomfrage in eine Sackgasse manövriert. Der Ministerpräsident betont jetzt, womit er die Prüfergebnisse vorwegnimmt, alle acht Atomkraftwerke in Spanien sicher seien. Er wandte sich sogar dagegen, das Unglück in Japan zum Anlass für eine Debatte über die Zukunft der Atomkraft zu benutzen. Das muss mehr als erstaunlich aus dem Mund eines Politikers klingen, der 2004 und 2008 die Wahlen auch mit dem ausdrücklichen Versprechen gewonnnen hat, aus der gefährlichen Atomkraft auszusteigen. Dass der gescheiterte Zapatero so im kommenden Jahr keine Wahlen mehr gewinnen kann, wissen längst auch seine Parteifürsten in den Regionen. Sie haben Zapatero völlig aus dem Wahlkampf ausgegrenzt, um nicht noch zusätzlich durch ihn beschädigt zu werden.