Hungertod in Südspanien
Der polnische Einwanderer Pietr Piskozub verhungerte in Andalusien, nachdem er vom Krankenhaus ins Obdachlosenasyl abgeschoben wurde
Es sind verstörende Bilder, die viele in Spanien schockieren und die Dramatik der Situation deutlich machen. Der 23-jähriger Pietr Piskozub ist am Mittwoch im südspanischen Sevilla verhungert, wie nun erst öffentlich wurde. Diverse Kommunikationsmedien haben einen mit einem Handy aufgenommenen Film auf ihren Webseiten publiziert. Darauf ist zu sehen, wie der polnische Einwanderer, der nicht einmal mehr 30 Kilogramm auf die Waage brachte, aus einem Obdachlosenasyl abtransportiert wird. Die Empörung darüber, dass in Spanien wieder Menschen verhungern, wird dadurch verstärkt, dass der Mann mit klaren Zeichen von Unterernährung zuvor im Krankenhaus Virgen del Rocío de Sevilla in der andalusischen Metropole war.
Der entkräftete Mann kam am späten Dienstag in die Notaufnahme. Da der Obdachlose keine Angehörigen im Land hatte, was im Krankenhaus festgestellt wurde, und er nicht in der Lage war, die Nacht auf der Straße zu verbringen, wurde er um zwei Uhr ins Obdachlosenasyl gebracht. Dort verstarb er später auf einem Sofa in einem Wartesaal, wo er auf eine warme Mahlzeit gewartet haben soll, wie Augenzeugen berichten. Zunächst sei man davon ausgegangen, dass der Mann schläft, bis festgestellt wurde, dass er gestorben war.
Das Krankenhaus und die Stadtverwaltung stehen in der Kritik. Die für Soziales in Sevilla zuständige Dolores de Pablo-Blanco spricht von einem "bedauerlichen und extremen Fall". Sie bestätigt, dass im Krankenhaus festgestellt wurde, der Mann sei unterernährt und dehydriert gewesen. Warum er nicht im Krankenhaus entsprechend behandelt wurde, sondern ins Obdachlosenasyl abgeschoben wurde, bleibt offen.
Die sozialistische Gesundheitsministerin der Regionalregierung María José Sánchez, die erst im September den Posten übernahm, stellte sich hinter die Ärzte im Krankenhaus. Dem Mann sei es schlecht gegangen, er sei im Krankenhaus aufgenommen worden. "Als es ihm besser ging, wurde er ins Obdachlosenasyl gebracht, wo er verstarb." Die Ministerin erklärte, die genauen Todesursachen nicht zu kennen. Eine Untersuchung sei eingeleitet worden, um die Umstände aufzuklären.
Allerdings passt dazu wenig, dass die konservative Stadtverwaltung am Donnerstag die Person aus dem Asyl geworfen hat, die mit den verstörenden Aufnahmen den Skandal öffentlich gemacht hat. Begründet wird der Rauswurf damit, er habe mit den Handy-Aufnahmen die "Privatsphäre" derer verletzt, die sich in der Einrichtung aufgehalten haben. A.M., der der Zeitung "Diario de Sevilla" seinen ganzen Namen nicht nannte, wollte eine "Ungerechtigkeit sichtbar machen". Er fragt: "Wie viel ist das Leben eines Obdachlosen dieser Gesellschaft, dieser Stadt, ihren Bürgern und ihren politischen Vertretern wert?" Die Versorgung auch in dem Asyl nennt er mangelhaft, auch dort "wird gehungert".
Längst ist bekannt, dass in der Krise in Spanien, Portugal, Griechenland und Irland Hunger um sich greift. Obdachlosigkeit grassiert, denn schon 400.000 Personen oder Familien wurden aus ihren Wohnungen geworfen, weil sie die Hypothek oder die Miete nicht mehr bezahlen können. Zwar werden auch einige Wohnungen besetzt, etwa eine Million stehen leer, trotz allem nimmt die Obdachlosigkeit zu. An der großen Zahl von Zwangsräumungen hat sich nichts geändert, auch wenn höchstrichterliche Urteile von europäischen Gerichten die Räumungen oft sogar als illegal oder als möglichen Verstoß gegen Menschenrechte einordnen.
Situation wie in Ländern der Dritten Welt
So hatte die Caritas im Februar eine Studie vorgelegt, dass die Kinderarmut mit den Sparprogrammen extrem in den Krisenländern zugenommen habe. In diesem Sommer haben in Andalusien, den Kanarischen Inseln und in Katalonien die Schulen teilweise oder ganz die Kantinen über die Ferien geöffnet gehalten, damit Kinder von verarmten Menschen wenigstens eine Mahlzeit am Tag erhalten. In fast zwei Millionen spanischen Familien sind alle Mitglieder arbeitslos und mehr als zwei Millionen Arbeitslose erhalten längst keinerlei staatliche Unterstützung mehr. 400 Euro Sozialgeld werden nur für sechs Monate gezahlt, wenn das Arbeitslosengeld ausgelaufen ist.
Die Hilfsorganisation "Médicos del Mundo" (Ärzte der Welt) macht seit langem darauf aufmerksam, dass Einwanderer wie der nun verhungerte Piskozub besonders betroffen sind. Denn sie haben meist keine Familie, auf die sie zurückgreifen können. "Viele Menschen haben kein Geld, um sich Essen zu kaufen", hatte Patricia Ruiz gegenüber Telepolis schon im Frühjahr deutlich gemacht, dass sich auch die Lage für viele Spanier immer extremer zuspitzt.
Wie die Armenspeisung der Caritas oder anderer Hilfsorganisationen sind die Einrichtungen der Organisation angesichts der drastischen Kürzungen im Gesundheitssektor ein lebenswichtiger Anlaufpunkt für viele Menschen geworden, da sie sich zum Beispiel die Zuzahlung für Medikamente wie Insulin nicht mehr leisten können. "Die konservative Regierung hat in Spanien hier eine Lage geschaffen, die man bislang nur aus Ländern der Dritten Welt kannte", sagt Ruiz. Die spanische Sektion erhält längst Geld von den französischen Partnern. Diese Mittel seien früher zum Beispiel für Hungersnöte in der Sahelzone ausgegeben worden. "Spanien wird heute aber schon als Entwicklungsland betrachtet. So traurig ist das", meint Ruiz.