Im Alltag hat die Aufdeckung der NSU wenig geändert
Vom Umgang mit rechter Gewalt heute
Hussein Badiny war sehr bewegt, als er sich bei seinen Unterstützern bedankte. Der Mann mit migrantischem Hintergrund hatte im Berliner Stadtteil Friedrichshain ein Restaurant betrieben, das Ende Mai verwüstet und mit rechten Parolen beschmiert worden war. Doch schon wenige Tage nach dem Solidaritätsfest in der Nachbarschaft las man andere Töne im Internet.
Mit eindeutig rechter Diktion wurde Badiny als "Systemgastronom" und "mohammedanischer Täuscher" diffamiert. Die rechten Wortmeldungen konnten genüsslich darauf verweisen, dass die Polizei den Restaurantbesitzer in Verdacht hätte, den Angriff nur vorgetäuscht zu haben. Die Berliner Zeitung kommentierte das Geschehen um Badiny nach der Zerstörung seines Restaurants so:
"Die Polizei untersuchte den Tatort an jenem Tag. Danach passierte erst mal nichts. Man ermittle in alle Richtungen, hieß es. Jetzt steht fest: Ermittelt wird vor allem gegen Hussein Badiny."
Badiny konnte nicht verstehen, warum er vom Opfer zum Täter wurde, ohne dass ihm auch nur ein Grund mitgeteilt wurde, und kritisiert die Art der Ermittlungen generell, wie die Berliner Zeitung schreibt:
Am Nachmittag ist Badiny fassungslos, er wundert sich: Warum zum Beispiel untersuchte die Polizei erst am Dienstag, zwei Wochen nach der Tat, das aufgebrochene Türschloss des Restaurants? Und warum steht im Polizeiprotokoll, dass er alleine im Restaurant war, als er die Zerstörung entdeckte, obwohl sein Koch ebenfalls da war? Er habe das Gefühl, sagt er, die Polizei arbeite nicht sauber. "Sie verschwendet ihre Zeit mit mir, statt die Täter zu finden. Die nehmen das nicht ernst."
Die Soko Dönermord lässt grüßen
Die Politikerin der Grünen Canan Bayram, eine engagierte Streiterin für die Rechte von Migranten und Flüchtlingen, war eine der wenigen, die den Restaurantbesitzer auch dann noch verteidigte.
"Menschen haben einen Anspruch auf eine ordentliche polizeiliche Dienstleistung", sagt Bayram, "dazu gehört, dass sie nicht ohne triftigen Grund selbst in den Fokus der Ermittlungen geraten, wenn sie Opfer geworden sind." Bayram erinnert der Fall stark an die vielen Jahre, in denen die Polizei die Opfer der NSU zu Verdächtigen machte.
Badiny droht, durch staatliches Handeln ein weiteres Mal Opfer zu werden. Nicht nur Bayram wird an den NSU gedacht haben. Tatsächlich zeigt der Fall deutlich, wie rechte Kreise solche Anschuldigungen für ihre Hetze nutzen. Welche Signale werden da an die Öffentlichkeit gesendet, wenn Menschen, die rechte Angriffe melden und an die Öffentlichkeit gehen, als Lügner hingestellt werden, ohne dass dafür auch nur Gründe genannt wurden?
Dass bis auf Bayram und wenige engagierte Bürger keine große Unterstützung für Badiny erfolgte, zeigt, wie schnell nach dem Entsetzen infolge der Selbstenttarnung des NSU der deutsche Alltag wieder Einzug gehalten hat. Da gilt anscheinend immer noch, dass, wer einen rechten Angriff meldet, im Zweifel erst einmal selbst verdächtig ist.
"Supergau für Dortmunds Politikszene"
Auch wer sich gegen Angriffe der Rechten wehrt, steht schnell unter Verdacht. Das mussten Dortmunder Kommunalpolitiker der Grünen, der SPD und der Piraten erleben, die sich am Abend der NRW-Kommunalwahl am 26.5 einer Provokation von Anhängern der Partei "Die Rechte" entgegenstellten.
Die probten nach dem Einzug eines Vertreters ihrer Partei in das Stadtparlament eine Art Rathaussturm . Doch ein Bericht des NRW-Innenministeriums wenige Wochen später verteidigt die Rechten und sieht bei angetrunkenen Politikern die Verantwortung für die Eskalation.
In dem Bericht wird den Rechten bescheinigt, sie hätten das Rathaus gar nicht stürmen wollen. Schließlich hätten sich Beamte des Staatsschutzes an den Tagen zuvor mit einem der führenden Dortmunder Nazi-Kader unterhalten. Dieser habe versichert, ein Besuch der Wahlparty sei "nicht geplant". Wo die Gefahr in den Augen der Beamten liegt, wird in dem Bericht recht klar benannt.
Während "die Angehörigen der rechten Gruppierung ohne größeren Widerstand“ die polizeilichen Maßnahmen hätten über sich ergehen lassen, seien "auf der anderen Seite" die Amtshandlungen von "deutlich alkoholisierten Politikern" erheblich gestört worden. Die Rechte ist erfreut und schreibt vom Supergau für Dortmunds Politikszene.
Brandstiftung mit rechtem Hintergrund vor Berliner Theater?
Neben der Stigmatisierung der Oper und derjenigen, die sich gegen rechte Aktivitäten engagieren, ist das Totschweigen von rechten Angriffen eine weitere Methode, sich unliebsame Diskussionen zu ersparen.
Verunsichert steht man beim Verlassen der Vorführung am Eingang der Berliner Festspiele vor einem eingezäunten Bereich, in dem ein Haufen angekokeltes Holz liegt. Brandgeruch liegt in der Luft. Auf einem Infoblatt gibt es Aufklärung: In dem verbrannten Holzraufen finden sich die Überreste der sechs Meter hohen Pappmaché-Arbeit "Our Paper Soldier" des russischen Künstlerkollektivs Chto Dela, die angezündet wurde. Sie trug ein Schild mit der Aufschrift "Antifaschistische Aktion".
"Ein politisches Kunstwerk mit klar antifaschistischer Position wird zu einer Zeit, in der faschistisches Gedankengut international einen ungeahnten Aufschwung hat, nach kürzester Zeit zerstört", erklärte der Leiter des Festivals Foreign Affairs, Matthias von Hartz. Das Kunstwerk war im Rahmen dieses Theaterfestivals aufgestellt worden. In den Medien wurde dieser Angriff im Westen Berlins größtenteils ignoriert.
Opfer rechter Gewalt werden zu Tätern gemacht, Gegner rechter Straßenprovokationen werden zumindest moralisch auf die Anklagebank gesetzt und die rechte Brandstiftung auf ein Kunstwerk wird totgeschwiegen. Da stellt sich doch die Frage, was hat sich eigentlich außer schönen Sonntagsreden nach der Aufdeckung der NSU in der Praxis geändert hat,