Katalonien will trotz Verbot am Sonntag abstimmen
Die von Spanien verbotene, unverbindliche Volksbefragung erhält immer stärker auch internationale Unterstützung von Politikern, Intellektuellen und Künstlern
Weiter ist unklar, ob die Katalanen am Sonntag wenigstens unverbindlich über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen können. Klar ist nur, dass die Regionalregierung über alle Verbote hinweg nun an der nun auch verwässerten Befragung festhalten will.
Die konservative spanische Regierung hatte beim Verfassungsgericht zunächst ein "vorläufiges Verbot" gegen eine von der Regionalregierung angesetzte Volksbefragung durchgesetzt. Auf deren Antrag wurde vergangene Woche nun auch eine "alternative Abstimmung" verboten, die in mehr als 99 Prozentaller Gemeinden gleichzeitig abgehalten werden sollte.
Dagegen hat die Regionalregierung am Freitag vor dem Verfassungsgericht Rechtsbeschwerde eingelegt. Argumentiert wird, dass es um eine aktive Bürgerbeteiligung und die freie Meinungsäußerung geht.
Angst vor einem klaren Stimmungsbild
Während die Beschwerde eingelegt wurde, traf sich der katalanische Präsident Artur Mas mit Parteien und Organisationen, die den "Pakt für das Selbstbestimmungsrecht" bilden. Danach bekräftigte die Regierung, es gäbe kein weiteres Zurück mehr und dass die "Regierung die Verantwortung bis zum Ende übernimmt". Sie will sich nicht auch noch aus dieser Befragung zurückziehen, wie es Madrid zuletzt gefordert hatte.
Statt eines Referendums nach schottischem Vorbild, wofür sich 80% der katalanischen Parlamentarier ausgesprochen hatten, hatte Mas ohnehin nur eine unverbindliche Befragung angesetzt, die inzwischen weiter verwässert wurde. Einstimmig beschloss der Pakt nun trotz allem, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen die Befragung durchführen werden, doch die Regionalregierung hinter ihr steht und für sie garantiert.
Damit übernehmen die "Katalanische Nationalversammlung (ANC)" und Òmnium Cultural eine stärkere Verantwortung, die in den letzten Jahren bis zu 2,5 Millionen Menschen und damit fast ein Drittel der Katalanen für ein unabhängiges Katalonien mobilisiert haben. Sie bauen auf zehntausende Freiwillige zur Umsetzung. Beamte und Angestellte werden aus dem Schussfeld genommen. Für die ANC-Präsidentin Carme Forcadell ist es ein "Erfolg" und ein erster Schritt zur Unabhängigkeit, wenn nun abgestimmt wird.
Gefunden wurde im Pakt eine Kompromissformel, nachdem zuvor Madrid erstmals eingelenkt hatte. Der spanische Justizminister meinte, eine Abstimmung könne stattfinden, wenn sich die Regionalregierung komplett heraushalte. Rafael Catalá erklärte, man wolle die "freie Meinungsäußerung" nicht einschränken. Doch ganz offensichtlich will Madrid den Vorgang weiter verwässern, weil sich Madrid vor einem klaren Stimmungsbild bei guter Beteiligung fürchtet.
Die Ultrakonservativen rücken nun aber von ihrer bisherigen Linie ab, denn der Ministerpräsident Mariano Rajoy wollte stets jede Abstimmung verhindern. Er will nun aber demobilisieren und es wird in der Argumentation von Führungsmitgliedern seiner Volkspartei (PP) schon klar, dass ihr jede Legitimität und Aussagekraft abgesprochen werden soll.
Wie wird sich die Polizei verhalten?
Da sich die Regionalregierung sich nicht komplett zurückzieht, muss die wegen Korruptionsfällen in der Wählergunst abstürzende Regierung nun entscheiden, ob sie das ausgesprochene vorläufige Verbot auch polizeilich und repressiv durchsetzt. Sehr kryptisch warnte die Vize-Ministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría den katalanischen Regierungschef davor, die "Bevölkerung zum Rechtsbruch zu zwingen".
Die Handlungen von Mas könnten "Dritte in Unsicherheit bringen, was ihnen in der Zukunft passieren wird", drohte sie mit möglicher Strafverfolgung. Die Frage bleibt, ob nun am Sonntag die Polizei 1.255 Wahllokale schließen und 8.000 Wahlurnen beschlagnahmen wird. Unklar ist, ob die mehr als 6.000 Beamten der Regionalpolizei mitspielen, an die sich die Warnung auch richten dürfte oder ob sogar die paramilitärische Guardia Civil eingesetzt wird.
Dann könnten sich Szenen ereignen, die eher an die Ostukraine statt an einen zivilisierten Vorgang wie in Schottland erinnern könnten, wo die Schotten sogar verbindlich über die Unabhängigkeit von Großbritannien entscheiden durften.
Die neue Empörtenpartei Podemos und internationale Unterstützung
Die Volkspartei und die Regierung stehen massiv unter Druck, das hat sich schon gezeigt, als sie aus wahltaktischen Erwägungen die repressive Abtreibungsreform zurücknehmen musste. Denn nun schickt sich die neue Empörten-Partei Podemos (übersetzt: "Wir können es") an, sogar stärkste Kraft im Land zu werden, die ohnehin an die Macht strebt. Dies ergab gerade eine Umfrage des "Zentrums für soziologische Studien" (CIS). Anders als nationalistischen Sozialisten, verteidigt Podemos ebenfalls das Selbstbestimmungsrecht von Basken und Katalanen.
Und International wird der Druck auf die spanische Regierung auch stärker. Gerade erschien ein Manifest: "Lasst die Katalanen wählen", ist der Titel. Darin heißt es:
Eine Mehrheit in Katalonien hat mehrfach in verschiedenen Formen den Wunsch deutlich gemacht, das demokratische Recht auszuüben, um über die eigene Zukunft zu entscheiden. Diese Forderung ist das Resultat lang anhaltender Unstimmigkeiten zwischen der katalanischen und der spanischen Regierung über den Grad an kultureller Autonomie, Politik und Finanzierung. (…) Wie Quebec und Schottland zeigen, ist die beste Art die legitimen internen Streitigkeiten zu lösen, die Werkzeuge der Demokratie zu nutzen. Zu verhindern, dass die Katalanen abstimmen können, steht den Prinzipien entgegen, auf denen demokratische Gesellschaften basieren.
Für das Recht auf Selbstbestimmung treten darin unter anderem Führungspolitiker von Nelson Mandelas ANC, Friedensnobelpreisträger wie Adolfo Pérez Esquivel und Desmond Tutu genauso ein wie der amerikanische Linguist Noam Chomsky, Ignacio Ramonet, Direktor der renommierten französischen Le Monde diplomatique, der italienische Schriftsteller Andrea Camilleri, der britische Filmemacher Ken Loach oder der ehemalige niederländische Weltfußballstar Johan Cruyff.