Kein Ende der Deflationstendenzen in Sicht
Im "Hochrisikostaat" Spanien darf offiziell von Deflation gesprochen werden, weil die Preise seit sieben Monaten in Folge gefallen sind.
In Deutschland sind die Verbraucherpreise im September erneut binnen Jahresfrist um 0,3 % gesunken, hatte das Statistische Bundesamt kürzlich mitgeteilt. Zum zweiten Mal sei damit eine "negative Inflationsrate" ermittelt worden (zuletzt im Juli 2009: -0,5%), hieß es aus dem Amt. Den Verantwortlichen dort will das Wort Deflation einfach nicht über die Lippen kommen. Im Vergleich zum Vormonat ist der Verbraucherpreisindex um 0,4% gefallen, womit sich die Schätzung für September 2009 bestätigte.
Dies ist weiterhin noch eine moderate Entwicklung, denn ganz anders sieht es zum Beispiel in Japan oder Spanien aus. Es sind die beiden Industrieländer, die derzeit offiziell in einer Deflation stecken, auch wenn dies nur Japan zugibt, wo schon frühzeitig auf dieses gefährliche Problem hingewiesen wurde. In Japan brechen die Preise auf breiter Front ein und das Preisniveau ist schon um 2,4 % gesunken. Dahinter kommt schon die USA. Dort waren die Preise innerhalb eines Jahres von plus 5,6 Prozent im Juli 2008 auf minus 2,1 Prozent gefallen.
Allerdings ist in den USA die Tendenz zunächst gebrochen. Wie das US-Arbeitsministerium am vergangenen Donnerstag mitteilte, legten die Lebenshaltungskosten um 0,2% gegenüber August zu. Allerdings, so zeigt sich an dem sehr moderaten Anstieg, ist die Tendenz auch hier schon wieder negativ. Im August waren die Preise im Vergleich Juli noch um 0,4 % gestiegen. Spanien reiht sich allerdings unter die Deflationisten ein. Bei der Deflation gilt, wie bei der Rezession, dass davon offiziell gesprochen wird, wenn ein Land zwei Quartale hintereinander negative Werte liefert.
Spanien hat diese Grenze deutlich gerissen. Im September sind die Preise im siebten Monat in Folge gefallen. Im Jahresvergleich hat sich die Lage sogar weiter verschlechtert. Wurde im August gegenüber dem Vorjahresmonat ein Preisverfall von 0,8 % verzeichnet, war es im September gegenüber dem Vorjahr schon -1 %. Das ist der stärkste Verfall der jemals verzeichnet wurde, seit 1962 mit der Aufzeichnung der Daten in Madrid begonnen wurde. So ist Spanien wie Japan in die gefährliche Stagdeflation abgerutscht. Keine Frage, dass die spanische Regierung natürlich nicht von Deflation sprechen will. Zudem hat sie eine Geheimwaffe parat. Wie schon erwartet, wird sie bald die Mehrwertsteuer um mindestens 2 % erhöhen, womit die Preise steigen werden, auch wenn sie real weiter fallen. Damit wird die Krise aber noch verschärft, weil sie weiter Kaufkraft von denen abgezogen wird, welche vor allem die Wirtschaft antreiben. Denn die hängt am nationalen Konsum.
Auch die EU-Kommission, ausgerechnet der Spanier Joaquín Almunia, muss den "sozialistischen" Genossen in Madrid an den Kopf werfen, dass es sich bei Spanien inzwischen um ein "Hochrisikoland" handelt. Denn wie die Arbeitslosigkeit läuft auch die Staatsverschuldung völlig aus dem Ruder. Spanien ist das Mitgliedsland der Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Der Durchschnitt in den 29 Mitgliedsländern lag im August bei 8,6 % und Spanien entfernt sich sogar immer weiter vom Durchschnitt. Schon im August hatte die OECD eine Quote von 18,9 % ermittelt. Während die Arbeitslosigkeit in der Eurozone in den letzten 12 Monaten durchschnittlich um 2,3 % gestiegen ist, waren es in Spanien 7,1 %. Berücksichtigt sind bei den Zahlen noch nicht einmal, dass die übliche Herbstbelebung in diesem Jahr ausgeblieben ist und die die Arbeitslosigkeit im September in Spanien erneut um knapp 100.000 (3,7 %) gegenüber August gestiegen ist.
Der sozialistische EU-Wirtschaftskommissar Almunia warnt vor den langfristige Gefahren der Haushaltsstabilität. Davon seien zwar 13 der 27 EU-Staaten betroffen, heißt es im "Nachhaltigkeitsbericht 2009", doch Spanien ganz besonders hart. In dem Kreis befinden sich auch die Niederlanden, Griechenland, Irland, Slowakei, Slowenien, Malta und Zypern, dazu kommen Großbritannien, Rumänien, Tschechien, Lettland und Litauen, die nicht zum Euroraum gehören. Die drei größten Euro-Volkswirtschaften Deutschland, Frankreich und Italien weisen nur ein "mittleres Risiko" auf. Risikofrei werden unter anderem Finnland und Schweden gehandelt.
Die Risikostaaten zeichnen die hohen Staatsdefizite und Schuldenstände aus, die in der Finanz- und Wirtschaftskrise angehäuft wurden, welche die Grenzen des EU-Stabilitätspakts von 3,0 % für die Neuverschuldung und 60 Prozent der Wirtschaftsleistung deutlich übertreffen. In Spanien ging man zunächst davon aus, dass es knapp 8 % Neuverschuldung werden dürften. Inzwischen hat die Wirtschaftsministerin Elena Salgado die Prognose schon auf 9,5 % erhöht. Doch das Schöne von Prognosen ist in ihrem Haus schon vom geschassten Vorgänger Pedro Solbes bekannt. Kein Analyst, der ernst genommen werden will, geht davon aus, dass die Neuverschuldung unter 10 % liegen wird. Der IWF prognostiziert sogar 12,3 % und könnte sogar noch zu niedrig liegen.
Aus Sicht von Almunia wird in Spanien auch nicht genug getan, um eine Ausgabenexplosion als Folge der Bevölkerungsalterung zu verhindern. "Ohne ehrgeizige Strukturreformen und Konsolidierung der Staatshaushalte wird es in den kommenden Jahrzehnten einen enormen Ausgabenzuwachs bei Schuldzinsen, Renten, Gesundheit und Langzeitpflege geben", heißt es im Bericht. Die Wirtschaftskrise, gepaart mit den steigenden alterungsbedingten Staatsausgaben, würden Länder wie Spanien vor unlösbare Haushaltsprobleme stellen. Selbst wenn sich die Konjunktur bald erhole, was in Spanien nicht zu erwarten ist, werde der Schuldenstand weiter wachsen und in der "EU insgesamt bereits 2014 auf 100 Prozent steigen", heißt es in dem Papier. Anderen Untersuchungen sagen Irland und Großbritannien mittelfristig Schuldenstände von 180 bis 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts voraus. Dazu kommt, dass die Risikostaaten mehr Geld für ihre Verschuldung aufwenden müssen. Irland, Griechenland und Spanien müssen bereits Zinsaufschläge bezahlen.