Kein Fair Play der EU
Mitgliedsländer und Parlament einigen sich auf neue, aber unzureichende Klimaziele
Nun haben sich also Vertreter des EU-Parlaments mit den Regierungen der Mitgliedsländer geeinigt. Wie unter anderem die Tagesschau berichtet, wird das EU-Klimaziel für 2030 sein, die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent zu reduzieren.
Damit setzt sich der Europäische Rat, das heißt, die Regierungen der Mitgliedsländer weitgehend durch. Das EU-Parlament hatte 60 Prozent als Reduktionsziel gefordert.
Außerdem hatte es die Taschenspielertricks abgelehnt, die die Regierungen noch eingebaut haben. Waldwachstum und ähnliches soll gegengerechnet werden. In den Verhandlungen wurde nun beschlossen, diesen Abzug von der Reduktionsverpflichtung auf 225 Millionen Tonnen CO2 jährlich zu beschränken. Außerdem soll es Aufforstungsprogramme geben.
Fraglich an diesen Verfahren ist zum einen die Zuverlässigkleit der Berechnungen. Zum anderen wird das CO2 von den Wäldern nicht wirklich zuverlässig und dauerhaft abgespeichert.
In Dürrejahren können nicht nur Teile der Wälder absterben, wie Deutschland in den vergangenen Jahren schmerzlich erfahren musste.
Auch der Waldboden kann sich durch extreme Trockenheit zu einer großen CO2-Quelle wandeln, wie in den vergangenen beiden Jahrzehnten schon verschiedentlich in einigen europäischen Ländern festgestellt wurde.
Ein bisschen Mathe
Um zu verstehen, was das alles heißt, müssen wir ein wenig mit den Zahlen jonglieren: Wie bereits in der Wochenschau erläutert (Keine Fairness), beziehen sich die Reduktionsziele auf das Emissionsniveau von 1990.
Nach den Daten der Europäischen Umweltagentur in Kopenhagen, eine Einrichtung der EU, emittierten die 27 Mitgliedsländer 1990 4,7 Milliarden Tonnen CO2 und andere Treibhausgase.
Letztere werden entsprechend ihrer Wirksamkeit in CO2 umgerechnet. Man spricht also gewöhnlich in Fachkreisen von CO2-Äquivalenten, aber das nur am Rande.
2018 wurden nach den gleichen Daten von den aktuellen EU-Mitgliedsländern – Großbritannien bereits herausgerechnet – noch 3,6 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente emittiert. Doch die 55 Prozent beziehen sich auf 1990.
Der Beschluss der EU-Gremien bedeutet also, dass 2030 noch 2,1 Milliarden Tonnen (45 Prozent von 1990) plus der 225 Millionen Tonnen aus den Taschenspielertricks emittiert werden dürfen. Also rund 2,3 Milliarden Tonnen jährlich.
Gegenüber dem aktuellen Niveau, für das wir näherungsweise 2018 heranziehen können, wäre das ein Minus von 1,3 Milliarden Tonnen. Oder wenn wir als Bezugsjahr 2010 nehmen – den Grund werden wir gleich nennen –, beträgt das für 2030 angestrebte Minus 1,6 Milliarden Tonnen oder 44 Prozent.
Weshalb 2010? UN-Generalsekretär António Guteres hat, wie in der Wochenschau berichtet, die Weltgemeinschaft zu Beginn der Woche erneut zu raschem Handeln gemahnt.
Der faire Beitrag
Die globalen jährlichen Emissionen müssen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2010 abgesenkt werden, um das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Klimaübereinkunft noch einzuhalten, so Guteres. Das ist das Ergebnis diverser durchgerechneter Szenarien, die der UN-Klimarat IPCC (Intergorvernmental Panel on Climate Change) 2018 vorgestellt hatte (Global Warming of 1.5°C).
Nun könnte man meinen, die 44 Prozent der EU (siehe obige Rechnung) kommen dem ja trotz der Taschenspielertricks schon recht nahe. Doch die Gemeinschaft hat eigentlich eine viel höhere Verpflichtung.
Sie gehört nämlich nicht nur zu den reichsten Teilen des Planeten mit erheblichen Ressourcen und hat durch ihre Importe von Konsumgütern einen Teil ihrer Emissionen in andere Länder ausgelagert.
Sie – und hier insbesondere Deutschland, Frankreich und die Benelux-Länder – ist vor allem auch für einen erheblichen Teil des CO2 verantwortlich, das sich in den letzten knapp 200 Jahren in der Atmosphäre angereichert hat und dort noch einige Jahrtausende verbleiben und als Treibhausgas wirken wird.
Ein fairer Beitrag der EU zur Lösung der globalen, die ganze Menschheit betreffenden Klimakrise, wäre also eher 80 Prozent oder eine Verminderung der Emissionen um 3,1 Milliarden auf etwas weniger als 800 Millionen Tonnen jährlich bis 2030. "Verschiedene, aber gemeinsame Verantwortung" wird das in der 1992 in Rio de Janiero unterzeichneten UN-Klimarahmenkonvention genannt.
Kritik der Opposition
Entsprechend nennt Lorenz Gösta Beutin von der Linksfraktion im Bundestag und deren, Sprecher für Energie und Klima dieses Foul-Spiel der EU einen "viel zu schwachen Formelkompromiss".
Die 55 Prozent Reduktion reichten "bei weitem nicht, damit die EU ihren fairen Beitrag zum Pariser Klimaschutzabkommen leistet". Seine Partei fordere bis 2030 mindestens 65 Prozent weniger Emissionen. Bis 2040 müsse die EU komplett klimaneutral sein.
Unzufrieden ist man auch bei den Grünen. "Mit diesem Klimaziel und Klimagesetz verliert die Europäische Union ihre Vorreiterrolle im Klimaschutz", meint ihr Europaabgeordnete Michael Bloss gegenüber n-tv.
Unklar bleibt allerdings, worin diese Vorreiterrolle bisher bestanden haben sollte. Ist das die neue grüne Bescheidenheit und ein Ausblick darauf, dass auch von einer Bundesregierung mit Beteiligung der einstigen Ökopaxe "keine Wunder" zu erwarten sind?