Kein Verkauf von "antipolnischen" Büchern
Ein Buch über Polen, die sich am Holocaust bereichert haben, sorgt für heftige Kontroversen und Boykottaufrufe
Am 10. März kam in Polen das Buch Goldene Ernte" von Jan Tomasz Gross und seiner Ex-Ehefrau Irena Grudzinska-Gross auf den Markt. Wegen seiner Grundthese, dass sich die Polen am Holocaust bereichert haben, hat es schon drei Monate vor seinem offiziellen Erscheinungstermin für heftige Kontroversen gesorgt.
Und auch jetzt, drei Wochen nach der Buchveröffentlichung, hat die Debatte nichts an Intensität verloren, leider aber auch wenig an Sachlichkeit hinzugewonnen. So wäre es vergangene Woche in Polens bekanntester Polittalkshow Tomasz Lis na zywo, die sich mit dem umstrittenen Gross-Buch mittlerweile zum zweiten Mal beschäftigt hat, fast zu einem Eklat gekommen. "Das grenzt ja schon an Paranoia. Ich gehe gleich", drohte die mit der großartigen linken Vierteljahreszeitschrift Krytyka Polityczna zusammenarbeitende Publizistin Kazimiera Szczura, nachdem der PiS-Politiker Zbigniew Girzynski ihr den gleichen Egoismus und die selbe Ehrlosigkeit vorgeworfen hat, die seiner Meinung nach die wenigen Polen antrieb, die während des Krieges mit den Deutschen kollaboriert haben.
Dies war leider aber auch der einzige Höhepunkt einer ansonsten misslungenen Talkshow, deren Grundansatz eigentlich lobenswert war. Denn der Namensgeber und Moderator der Sendung, Tomasz Lis, wollte das Buch von Jan Tomasz Gross auch dazu nutzen, um über den aktuellen polnischen Antisemitismus zu diskutieren, der sich zwischen Oder und Bug leider regelmäßig lautstark bemerkbar macht. Egal ob in den Medien des erzkatholischen Redemptoristenpfarrers Tadeusz Rydzyk, den polnischen Fußballstadien, wo die antisemitischen Gesänge einer kleinen, dafür aber lautstarken und vor allem gewaltbereiten Gruppe zum Alltag gehören,oder den privaten Kontakten einiger konservativer Politiker zu bekennenden Antisemiten wie dem in Uruguay lebendem Jan Kobylanski. Doch die von Lis angeregte Diskussion scheiterte an den von ihm geladenen Politikern der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit (PiS), die auf diese Thematik nicht eingehen wollten.
Was der Journalist Tomasz Lis in seiner Talkshow nicht bewirkt hat, schafft jedoch "Goldene Ernte". Denn vor allem die Reaktionen aus dem nationalkonservativen und rechten Lager offenbaren den polnischen Antisemitismus - und erinnern dabei an das "Kauft nicht bei Juden" aus dem Deutschland der 30er Jahre.
"Hier werden antipolnische Bücher verkauft." Solche Zettel tauchten in der vergangenen Woche an den Schaufenstern der Danziger Buchhandlungen auf. "Unser Ziel ist es, den Buchhändlern das Interesse an dem Verkauf des Buches zu nehmen. Wir wollen sie darauf aufmerksam machen, dass sie sich mit dem Verkauf des Buches an einer Schandtat beteiligen", sagte ein Organisator der Aktion der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita.
Bei den betroffenen Buchhändlern, die sich beklagten, dass sie diese Zettel mehrmals von ihren Schaufenstern kratzen mussten, stieß diese Aktion zwar auf wenig Verständnis, doch erste Erfolge konnte sie dennoch feiern. Landesweit nahmen einige Buchhandlungen das Buch nicht nur aus ihren Schaufensterauslagen, sondern auch aus ihrem Sortiment und begründeten dies mit dem geringen Interesse ihrer Kunden.
Ob das Interesse an dem Buch wirklich so gering ist, darf jedoch bezweifelt werden. In einer Stellungnahme erklärte die Buchhandelskette Empik, dass sie sich an keinem Boykott oder Protest gegen das Buch beteiligen werde und begründete dies mit der großen Nachfrage. Momentan belegt "Goldene Ernte" bei der größten Buchhandelskette des Landes den 4. Platz unter den 50 meistverkauften Büchern. Noch besser sind die Verkaufszahlen gar beim Online-Buchhändler Merlin, in dessen Bestsellerliste das Gross-Buch den 2. Platz belegt.
Doch die guten Verkaufszahlen überzeugen offenbar nicht alle großen Buchhandelsunternehmen. Während die kleinen Buchhändler teilweise dem Druck der Gross-Gegner nachgaben, nutzt der aktuelle Buchhändler Selkar.pl die aktuelle Diskussion, um auf zwielichtige Art und Weise für sich Werbung zu machen. Den Umstand nutzend, dass es in Polen keine Buchpreisbindung gibt, erhöhte der Buchhändler vergangene Woche den Preis für "Goldene Ernte" von 23.50 auf 4.499 Zloty, umgerechnet rund 1.112 Euro. "Da wir das Buch nicht aus unserem Angebot nehmen können und wir gleichzeitig nicht möchten, dass unsere Klienten die Ansichten und Schlussfolgerungen von Herrn Gross mit uns in Verbindung bringen, beschlossen wir den Preis zu erhöhen. Viel Erfolg beim Einkaufen", erklärte Selkar.pl auf seiner Internetseite und beendete den letzten Satz unglücklicherweise auch noch mit einem Smiley. Mittlerweile hat der Online-Buchhändler alle Bücher von Jan Tomasz Gross aus seinem Sortiment genommen, in denen sich der in Princeton lehrende Soziologe und Historiker mit dem polnisch-jüdischen Verhältnis beschäftigt.
Die Protestaufrufe beschränken sich aber nicht nur gegen Gross. Immer lauter wird auch die Kritik an dem in Krakau ansässigen Znak-Verlag, der die Gross-Bücher herausgibt. Manche der selbsternannten "wahren Polen" fordern gar den Boykott aller Znak-Bücher und vergessen dabei, dass der traditionsreiche katholische Verlag, der immer für einen aufgeklärten Katholizismus eintrat, auch die Bücher von Johannes Paul II. herausgibt. Jenem polnischen Papst, der für einen Dialog mit dem Judentum eintrat.