Kolossaler Protest in Portugal
Unter dem Motto "Zum Teufel mit der Troika" haben Hunderttausende gegen den Sparkurs demonstriert
"Die Regierung wurde zurückgetreten", ist das Resümee der Organisatoren, nachdem Hunderttausende am Samstag auf die Straßen Portugals gegangen sind, um gemeinsam 'Grândola Vila Morena' anzustimmen. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind nach Angaben der Empörten-Bewegung ihrem Aufruf gefolgt. Das wären etwa 15 Prozent der gesamten Bevölkerung Portugals. Sie machten auf mehr als 30 Demonstrationen mit dem Lied der Nelkenrevolution deutlich, dass ihnen der Geduldsfaden gerissen ist.
Um 18 Uhr (Ortszeit) war der große Augenblick in der Hauptstadt Lissabon gekommen. Auf dem riesigen Platz Terreiro do Paço und in der zum Platz führenden Avenida da Liberdade (Allee der Freiheit) wurden die Fäuste erhoben, in denen rote Nelken gehalten wurden. "Grândola, braungebrannte Stadt, Heimat der Brüderlichkeit. Das Volk ist es, das in dir bestimmt, o Stadt", sangen Demonstranten aller Altersgruppen. Vielen Teilnehmern traten bei der Erinnerung an die Vorgänge am 25. April 1974 die Tränen in die Augen. Linke Militärs hatten mit der Bevölkerung an diesem Tag friedlich die Diktatur gestürzt. Zwischen 500.000 und eine Million Menschen machten allein in der Hauptstadt klar, dass die Zeit reif ist, mit der Troika auch die konservative Regierung zum Teufel zu jagen.
Auf der Abschlusskundgebung wurde die Regierung von Pedro Passos Coelho zum Rücktritt aufgefordert. Eine neue Generation bereitet sich im Land auf ihre Nelkenrevolution vor. "Den 25. April meines Vaters muss ich jetzt machen", stand auf einem handgemachten Schild von Isabel Mora. Die 46-jährige Frau erzählte von der aktiven Rolle ihres Vaters in der Nelkenrevolution. "Er hat viel für die Freiheit Portugals gekämpft." Sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie das Erbe des vor fünf Jahren verstorbenen Vaters verteidigen wird.
Neben ihr geht ihre 16-jährige Tochter, die sich ebenfalls erkämpfte soziale und politische Rechte nicht nehmen lassen will. Der Ministerpräsident sei eine Marionette der Troika, ist man sich in der Familie einig. Die Vertreter der EU-Kommission, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) befinden sich erneut im Land, um zu prüfen, ob ihre Programme umgesetzt werden. Die wurden Portugal 2011 verordnet, als es 78 Milliarden Euro aus dem EU-Rettungsfonds erhielt.
Damit werde die Verfassung mit Füßen getreten, meinen viele und verweisen darauf, dass das Verfassungsgericht schon diverse Sparmaßnahmen gekippt hat. Am neuen Sparhaushalt zweifelt sogar Staatspräsident Anibal Cavaco Silva. Er hat das Gesetz den Richtern zur Prüfung vorgelegt. Dabei verlangt die Troika weitere Einsparungen im Umfang von vier Milliarden Euro. Die Portugiesen haben die Hoffnung verloren, dass sich damit etwas verbessern könnte, denn die Arbeitslosigkeit steigt und steigt. Sie hat im Februar einen neuen Rekordwert von 17,6 Prozent erreicht. 40 Prozent der jungen Menschen sind ohne Job. Und die Caritas stellte unlängst fest, dass der Hunger unter Kindern wegen der EU-Sparprogramme um sich greift.
Der Unmut erreichte einen neuen Höhepunkt, weil auch die großen Gewerkschaften und die Sozialisten (PS) sich dem Protest anschlossen. Der PS-Generalsekretär António José Seguro sprach von einer "Verarmung der Bevölkerung", weshalb die Menschen viele Gründe für ihren Protest hätten. Die Regierung sollte so "intelligent" sein und einräumen, dass ihre Maßnahmen gescheitert sind. Tatsächlich musste Coelho gerade einräumen, dass das Wirtschaftswachstum 2013 mit zwei Prozent doppelt so stark schrumpfen werde, wie bisher erwartet. Allerdings vergaß Seguro zu erwähnen, dass seine Partei - anders als Kommunisten und Linksblock - mit am Verhandlungstisch der Troika saßen und seine Regierung über ebenfalls über massive Sparprogramme abstürzte.
Zwar hat der Generalsekretär des großen Gewerkschaftsverbands CGTP noch keinen neuen Generalstreik angekündigt, aber Arménio Carlos erklärte der Nachrichtenagentur Lusa in Lissabon, die Regierung wisse, dass sie nur noch "an einem seidenen Faden baumelt". Er sprach ihr jede "politische und moralische Legitimität" ab: "Sie hat sich zum Problem entwickelt, das verhindert, die Krise zu überwinden."
Militärvereinigungen, die ebenfalls den Protest unterstützt haben, mahnten Konsequenzen an. Lima Coelho, Sprecher der Offiziersverbands ANS, sagte: "Dies kann nicht einfach ohne jegliche Konsequenzen bleiben", denn die Menschen seien nicht spazieren gegangen: "Es ist Zeit denen die Stimme zu geben, denen das Land gehört." Im Gegensatz dazu, dass einige der Bevölkerung zu verkaufen versuchten, der Ministerpräsident, Banker oder andere seien die Besitzer des Landes, irrten sie sich. "Denn das sind wir", verwies er auf die zahllosen Demonstranten.