Komplexe Abhängigkeiten
USA und China streiten über Wechselkurs, Regierungen haben Schwierigkeiten, das nationalistische Ressentiment im Zaun zu halten
In den USA herrscht Wahlkampf - im November sollen Repräsentantenhaus, Teile des Senats und einige Gouverneure neu gewählt werden. In solchen Zeiten ist die Jagd nach Sündenböcken ein allseits beliebtes Spiel. Derzeit ist, wie berichtet, eines der Lieblingsopfer dieses Spiels dran, nämlich China. Die Volksrepublik steht wieder wegen ihrer Währungspolitik am Pranger, weil sie etwas macht, was noch bis vor wenigen Jahrzehnten weltweit üblich gewesen ist, den Kurs ihrer Währung zu kontrollieren.
Das chinesische "Volksgeld" (Renminbi, die Einheit heißt Yuan) ist ohne Zweifel unterbewertet, wahrscheinlich so um die 20 Prozent, wie David Leonhardt in der New York Times schreibt. Aber ob das tatsächlich der Hauptgrund für das erhebliche US-Handelsbilanzdefizit mit China ist, darf bezweifelt werden. Schließlich, so Leonhardt, werden die Hersteller von Billig-Spielzeug nicht in die USA ziehen, wenn sich ihre Produkte durch eine Aufwertung des Yuan verteuern.
Dennoch sind entsprechende Vorwürfe nicht nur bei rechten Republikanern beliebt, die ohnehin immer noch der albernen Vorstellung anhängen, bei China handele es sich um ein sozialistisches Land, das daher nach Kräften zu bekämpfen ist. Auch manche US-Gewerkschaft bemüht gerne die Erzählung von den chinesischen "Währungs-Manipulateuren", die durch zu billige Importe US-Jobs vernichten. Kürzlich rief mal wieder der Dachverband AFL-CIO nach Handelssanktionen gegen die Volksrepublik. "Millionen Industriearbeitsplätze" seien verschwunden, weil China seine Ausfuhren verbillige.
Und da gerade Wahlkampf ist und die regierenden Demokraten ohnehin einen schlechten Stand haben, stieß dieser Tage auch Finanzstaatssekretär Timothy Geithner in das gleiche Horn. Beijing (Peking) habe seit Juni "sehr wenig unternommen", um etwas an der Unterbewertung seiner Währung zu ändern. Dabei hat der Yuan seit Juni immerhin um 1,6 Prozent aufgewertet. Geht es in diesem Tempo weiter, wovon viele Beobachter ausgehen, wird das "Volksgeld" bis zum Jahresende sein Gewicht um vier bis fünf Prozent erhöht haben.
Dennoch wird in Washington derzeit von Abgeordneten beider Parteien Druck gemacht, die Zölle auf chinesische Importe zu erhöhen. Entsprechend hat die US-Regierung alle Hände voll zu tun, die Handelskrieger in den beiden Häusern des Parlaments unter Kontrolle zu halten. Ihr ist nämlich, wie sich am Donnerstag auch beim Treffen des US-Präsidenten Barack Obama mit dem chinesischen Amtskollegen Ministerpräsidenten gezeigt hat, durchaus bewusst, dass die Verhältnisse etwas komplizierter sind.
Aber auch in China wird ganz gern aus der zweiten Reihe rumgeholzt. Ding Yifan ein führender Ökonom aus Beijing, wird von britischen Zeitungen mit der Drohung zitiert, sein Land könnte seine Bestände an US-Staatsanleihen verkaufen. Die werden auf immerhin 1,5 Billionen US-Dollar geschätzt. Die Folgen wären für die US-Ökonomie natürlich katastrophal, denn die hohe Nachfrage nach diesen kaum Rendite abwerfenden Papieren ist der wesentliche Grund für das vergleichsweise niedrige Zinsniveau jenseits des Atlantiks. Würde China seine US-Schuldscheine abstoßen, hätte das für die hochverschuldeten US-Verbraucher erhebliche Konsequenzen.
Allerdings kann das alles auch nicht im Interesse Chinas sein. Das fängt schon dabei an, dass ein Verkauf der gewaltigen Dollar-Bestände mit einiger Sicherheit gerade das bewirken würde, was Beijing vermeiden will: eine schnelle, schwierig zu kontrollierende Aufwertung des Yuan. In China hat man das Beispiel Japans vor Augen, das auf US-Druck zwischen 1985 und 1987 seinen Yen um 50 Prozent aufwerten ließ. Die Folge war zunächst ein enormer Inlandsboom, der eine gewaltige Immobilienblase aufblähte. Von deren Platzen Ende der 1980er Jahre hat sich das Land der aufgehenden Sonne bis heute nicht richtig erholt.
Außerdem hat China natürlich auch kein Interesse an einer Destabilisierung der USA. Immerhin will man ja weiter seine Waren dort absetzen, und schließlich würden größere Probleme in den USA viel zu viel Unruhe in die internationalen Verhältnisse bringen, was ebenfalls schlecht fürs Geschäft wäre. In Beijing setzt man, nicht nur beim Yuan, sondern auch in den internationalen Beziehungen, ganz auf graduelle Veränderungen. Größere Erschütterungen sollen auf jeden Fall vermieden werden.
Die Frage ist nur, ob man beiderseits des Pazifiks dafür die Populisten genug im Zaune halten kann. Die politische Führung in Beijing bewegt sich dabei sozusagen auf vermintem Gelände, denn sie kann es sich angesichts der vielfältigen sozialen Spannungen im Lande kaum leisten, die Stimmung in der Bevölkerung zu missachten. So ziemlich das Schlimmste, was einer chinesischen Regierung passieren kann, ist in den Augen der Bevölkerung die tatsächlichen oder vermeintlichen nationalen Interessen nicht ausreichend zu vertreten, das heißt, gegenüber dem Druck einer ausländischen Macht nachzugeben. Derlei hat in den letzten 110 Jahren schon mehrfach Revolten und Revolutionen ausgelöst.