Kongress in Kolumbien ebnet Weg für Sonderjustiz nach dem Krieg

Abgeordnete stimmen nach zahlreichen Änderungen für Regelwerk. Führende Militärs werden bei Kriegsverbrechen allerdings geschont

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Kolumbien bereitet sich auf die Zeit nach dem bewaffneten Konflikt zwischen der Regierung und der Rebellenorganisation Farc vor: Nun hat – wenige Tage nach dem Senat – auch das Abgeordnetenhaus ein Gesetz zur Schaffung einer sogenannten Sondergerichtsbarkeit für den Frieden verabschiedet.

Diese Paralleljustiz soll neben der bestehenden Staatsanwaltschaft die Umsetzung des in der kubanischen Hauptstadt Havanna ausgehandelten Friedensabkommens zwischen der Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens durchsetzen. Dazu gehört auch die Sanktionierung von Verantwortlichen von Verbrechen – mit einer Einschränkung allerdings: Ranghohe Militärs, die Befehle für Menschenrechtsverletzungen gegeben haben, sollen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Mit Strafen müssen lediglich Militärs rechnen, die an diesen Taten unmittelbar beteiligt waren, heißt es aus Verhandlungskreisen. Beobachter führen dies auf den starken politischen Einfluss der Armee zurück.

Während des Jahrzehnte währenden Konflikts in Kolumbien sind einer Studie aus dem Jahr 2013 rund 220.000 Menschen getötet worden, eine Regierungsstelle geht von knapp acht Millionen Opfern in 52 Jahren aus: darunter Getötete sowie Opfer von Kidnapping, Vergewaltigungen, Vertreibungen und anderen Delikten.

Mit 97 Stimmen für die Schaffung einer Sonderjustiz und sechs Gegenstimmen wurde das Gesetz im Abgeordnetenhaus verabschiedet. Zuvor hatte es mehr als 80 Änderungen gegeben. Vor allem im Senat hatten Vertreter rechter Parteien versucht, den in Havanna ausgehandelten Originaltext zu verändern oder Artikel hinzuzufügen. Die meisten dieser Initiativen, etwa zur Einschränkung der politischen Beteiligung der ehemaligen Rebellen, wurden jedoch abgeblockt. Nun muss das Verfassungsgericht dem Gesetz zustimmen. Die Richter werden prüfen, ob die Sondergerichtsbarkeit mit der geltenden Verfassung in Einklang steht.

Innenminister Juan Fernando Cristo kündigte nach der Abstimmung im Abgeordnetenhaus an, dass Präsident Juan Manuel Santos in Kürze zwei Dekrete unterzeichnen wird, um die Sonderjustiz in Gang zu bringen. Es gehe darum, "eine Wahrheitskommission und eine Ermittlungseinheit zur Suche verschwundener Personen zu gründen", so Cristo.

Der Friedensprozess in Kolumbien wird weit über die Landesgrenzen hinaus aufmerksam verfolgt. In Deutschland hat das Auswärtige Amt den Grünen-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen UN-Mann Tom Koenigs zum Sonderbeauftragten für den Friedensprozess in Kolumbien ernannt. Zudem wurde ein deutsch-kolumbianisches Friedensinstitut gegründet. Nach Informationen zu dem Projekt soll die Führungskommission dieses Vorhabens von dem Politologen und ehemaligen Mitarbeiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, Günther Maihold, geführt werden. Die Bundesregierung hat für das Vorhaben bislang 13 Millionen Euro aus den Haushaltsplänen 05 (Auswärtiges) und 23 (Entwicklungspolitik) bewilligt.