Kosovo: Das befreite Problem
Internationaler Gerichtshof bestätigt Abspaltung der ehemaligen serbischen Provinz. An der schweren Realität wird das nichts ändern
Der Internationale Gerichtshof (IGH) im niederländischen Den Haag hat die Abspaltung der südserbischen Provinz Kosovo am heutigen Nachmittag für rechtens erklärt. Das Tribunal folgte damit der Rechtsauffassung einer Minderheit von 69 Staaten innerhalb der 192 UN-Mitglieder, die sich der Anerkennung durch USA und EU angeschlossen haben.
Die Separation des Kosovos ist wegen der Vorgeschichte ein völkerrechtlich höchst strittiger Fall: Durch den massiven NATO-Angriff auf das ehemalige Jugoslawien hatte Belgrad seit 1999 keine Mitbestimmungsrechte mehr auf dem "Amselfeld". Während sich die Gründung des Staats Kosovo de jure also auf das Selbstbestimmungsrecht der im Kosovo lebenden Albaner beruft, ist sie de facto Produkt eines Angriffskrieges. Dieses Dilemma wird auch der IGH-Spruch nicht ausräumen.
Neben Serbien stellt sich vor allem Russland gegen eine Anerkennung des Kosovos. Grund ist hier vor allem der Umstand, dass die NATO den Kosovo-Albanern den Weg in die eigene Nationalstaatlichkeit freigebombt hat. Die Konflikte zwischen dem US-geführten Nordatlantikpakt und Moskau im Kaukasus ( Machtspiele in Georgien) schüren diese Opposition merklich. Aber auch innerhalb der EU ist ein Konsens weit entfernt. Spanien und Zypern machen keinen Hehl daraus, dass sie das Kosovo als eigenen Staat wegen drohender innerstaatlicher Folgekonflikte nicht anerkennen können. Der Madrider Zentralstaat wehrt sich gegen erstarkende Autonomiebewegungen der Basken, Katalanen und Galicier. Zypern befürchtet eine Festigung der türkischen Besatzungsherrschaft im Norden des Inselstaates. Auch Slowenien, Griechenland und Rumänien lehnen ein eigenständiges Kosovo ab.
Innerhalb der Europäischen Union ist man sich der massiven Probleme im und um das Kosovo durchaus bewusst. Am 20. Mai erstattete der Sonderbeauftragte der EU für das Kosovo, Pieter Feith, den Regionalbeauftragten der EU Bericht. Besonders die Lage im Norden, wo sich mehrere serbische Ballungsgebiete befinden, bezeichnete der niederländische Diplomat als "komplex". Tatsächlich lieferte er ein verheerendes Bild ab: Während die serbische Minderheit Ende Mai eigens organisierte Kommunalwahlen durchführte, schaltete die kosovo-albanische Verwaltung Sendemasten serbischsprachiger Medien ab, weil diese, wie es hieß, keine Lizenz besitzen.
Nach Informationen aus Brüssler Quellen will die EU will nun eine nicht weiter definierte "Nordstrategie" umsetzen, um der Lage Herr zu werden. Der letzte EU-Forschrittsbericht zum Kosovo im vergangenen Jahr hat aber auf dem ganzen Gebiet der einstigen serbischen Provinz schwere Mängel offenbart. Besonders hervorgehoben wurden die organisierte Kriminalität und die weit verbreitete Korruption. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziellen Angaben zufolge derzeit bei 43 Prozent.
Während die EU-Führung nach dem Urteil des Den Haager IGH Geschlossenheit zeigen will – was ihr angesichts von fünf oppositionellen Staaten in den eigenen Reihen durchaus schwer fällt –, muss sich der frühere Regierungschef Ramush Haradinaj unweit des IGH-Sitzes vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal diese Woche erneut verantworten. Haradinaj werden der Bau von Konzentrationslagern, Misshandlungen, Vergewaltigungen und Morde vorgeworfen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen prangerte am Vortag der IGH-Entscheidung massive Verletzungen der Pressefreiheit an. Wer es wage, die kosovo-albanische Verwaltung zu kritisieren, werde als Verräter behandelt.
Die Probleme um das Kosovo werden also ebenso andauern wie die Debatte. Zumal – das verschwieg so mancher EU-Funktionär heute – die Entscheidung des IGH nicht bindend ist.