Lauter Patrioten in den polnischen Stadien
Vor der Fußball-Europameisterschaft versucht die polnische Regierung mit der Gewalt in den Stadien fertig zu werden
In Posen ist das neue Fußballstadion seit mehreren Monaten im Betrieb. In Breslau und Danzig werden die Arenen zu Beginn der neuen Saison freigegeben und in Warschau laufen die Arbeiten auf Hochtouren, damit das neue Nationalstadion im Herbst mit dem Gastspiel der deutschen Nationalmannschaft eröffnet werden kann.
Auch wenn nicht alle infrastrukturellen Probleme bis Juni 2012 behoben sein werden, um die Stadien für die Fußballeuropameisterschaft, die Polen in einem Jahr gemeinsam mit der Ukraine ausrichten wird, muss man sich keine Sorgen machen. Sogar im Gegenteil. "Ganz Polen baut Stadien", titelte diese Woche die Tageszeitung Rzeczpospolita, laut deren Recherchen landesweit mindestens 65 Stadien neu erbaut oder zumindest modernisiert werden.
Doch was nützen die schönsten Hochglanzarenen, wenn sich die gewöhnlichen Fußballfans ins Stadion nicht trauen? "Die polnischen Stadien dürfen nicht zu einem Schlachtfeld der Hooligans werden. Wir werden keinen Schritt zurückweichen. Dieser Krieg ist zu gewinnen", erklärte am 4. Mai Premierminister Tusk und kündigte nicht nur eine harte Gangart gegenüber den gewalttätigen Fußballanhängern, sondern auch gegenüber den Vereinen an. Einen Tag zuvor wurde das Pokalfinale zwischen Legia Warschau und Lech Posen von schweren Ausschreitungen überschattet. Erst durch den Einsatz von Wasserwerfern und Gummigeschossen konnte die Polizei die gewalttätigen Anhänger beider Klubs wieder auf die Tribünen zurückdrängen.
Die Kibole beherrschen die Szene
Szenen wie aus dem diesjährigen Pokalfinale in Bromberg sind den gewöhnlichen Fußballfans an der Weichsel bestens vertraut. Fast jedes Wochenende bestimmen die "Kibole", wie die fanatischen und gewaltbereiten Fußballanhänger in Polen genannt werden, das Geschehen auf den Tribünen. Sie organisieren Choreographien und brennen bengalische Feuer ab, liefern sich mit den Fans der gegnerischen Mannschaft und der Polizei Schlägereien, skandieren fremdenfeindliche Parolen oder beschimpfen und bedrohen die "Pikniki", jene Fans der eigenen Mannschaft, die sich nur in Ruhe das Fußballspiel ansehen wollen. Kurz gesagt: es ist eine mit der hiesigen Ultra-Bewegung verwandte Szene, die leider nur jedes Übel der Fußballkultur übernommen hat.
So selbstverständlich wie die unschönen Szenen in polnischen Stadien sind aber auch seit Jahren die Ankündigungen der Politik, der Justiz, der Liga und des Fußballverbandes, mit den "Kibole" endlich aufzuräumen – bisher ohne irgendwelche Ergebnisse. Zu sehr verfolgten alle beteiligten Seiten ihre eigenen Interessen und fanden keinen gemeinsamen Weg. Wie uneffektiv die bisherige Bekämpfung der Gewalt in den Stadien war, zeigen "Staruch" und "Litar", die momentan bekanntesten Hooligans des Landes.
Der Legia Warschau-Fanatiker Piotr Staruchowicz, östlich der Oder besser bekannt als "Staruch", sorgte im April für Aufsehen, als er den Legia-Verteidiger Jakub Rzezniczak vor Fernsehkameras im Stadion ohrfeigte und bedrohte. Es war nicht das erste Mal, dass "Staruch" negativ auf sich aufmerksam machte. 2009 erhielt der Capo der Warschauer Ultras von dem Verein schon einmal ein Stadionverbot, weil er in der Kurve "Noch einer" anstimmte, als der Stadionsprecher um eine Schweigeminute für den verstorbenen Miteigentümer des Clubs, Janusz Wejchert bat. Da die Stadt dem Verein aber ein teures Stadion errichtete, intervenierte zu Beginn der Saison die Politik gegen dieses und weitere Stadionverbote, um leere Tribünen zu vermeiden.
Und auch das aktuelle Stadionverbot hatte für Staruchowicz zunächst nicht viele Konsequenzen. Beim Pokalfinale in Bromberg reckte er vor den Pressefotografen gar den Pokal in den Himmel, da die Polizei in einem Brief auf seinen Einlass drängte. In Polen dürfen nur Gerichte landesweite Stadionverbote aussprechen, weshalb der polnische Fußballverband, der "Staruch" nicht dabei haben wollte, ihm eine Karte verkaufen musste.
"Litar", alias Krzysztof Markowicz, erlangte landesweite Berühmtheit im Januar. Damals berichtete die Gazeta Wyborcza wie "Litar" beim Spiel der polnischen Nationalmannschaft gegen die Elfenbeinküste, das im November in Posen stattfand, einen Mann und seine Familie bespuckte und tätlich angriff und dabei von Sicherheitskameras gefilmt wurde. Markowicz gefiel es nicht, dass die Familie in den polnischen Nationalfarben und nicht in den weiß-blauen Vereinsfarben von Lech Posen auf der Tribüne erschienen ist.
Markowicz ist jedoch kein gewöhnlicher Hooligan. Zu dem Zeitpunkt war er nicht nur Vorsitzender von "Wiara Lecha", dem größten Fanclub von Lech Posen, mit dem der Verein eng zusammenarbeitet, sondern auch Vorsitzender der landesweiten Fanvereinigung. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit einem Catering-Unternehmen, dessen Haupteinnahmequelle bisher das Posener Stadion war. Bei Heimspielen von Lech Posen war Markowicz’ Firma für die Gastronomie verantwortlich.
Während die Regierung gegen die Ausschreitungen nun vorgeht, sehen die Konservativen in den Kibole achtenswerte Nationalisten
Nachdem die Regierung in den vergangenen Tagen aber hart durchgegriffen hat und sogar Stadien schließen ließ, scheinen für "Staruch" und "Litar" schwere Zeiten angebrochen zu sein. Sie und 48 weitere identifizierte Teilnehmer der Ausschreitungen von Bromberg wurden in den letzten Tagen von Anti-Terroreinheiten der Polizei verhaftet. Zudem wird die Polizei in den nächsten Tagen Fahndungsfotos von weiteren Teilnehmern der Ausschreitungen in Bromberg veröffentlichen. Aber auch die Vereine, denen Tusk vergangene Woche Konsequenzen androhte, falls diese nicht endlich mitarbeiten, und der Verband reagieren. Bis zum Ende der Saison werden alle Spiele ohne Auswärtsfans ausgetragen und Lech Posen beispielsweise hat die wirtschaftlichen Beziehungen zu "Litar" abgebrochen.
Doch ganz alleine sind "Litar", "Staruch" und ihre sich gerne prügelnden Kumpels noch nicht. Prominente Unterstützung haben sie ausgerechnet im nationalkonservativen Lager rund um Jaroslaw Kaczynski und seine Recht und Gerechtigkeit ( PiS) gefunden, die behaupten, dass die aktuelle Politik nur Rache für regierungskritische Transparente ist, die in den letzten Wochen in den polnischen Stadien auftauchten. Mitte März, nachdem polnische Hooligans im litauischen Kaunus randalierten, drohte Tusk bereits mit Konsequenzen und provozierte so diese Plakate in den Stadien. Für Kaczynski und seine Leute nur ein weiter Beweis für die Vaterlandsliebe der "Kibole". "Ich werde immer die anständigen Fans unterstützen, die nationale Werte hochhalten", erklärte der PiS-Politiker Jacek Kurski vergangene Woche in einer TV-Talkshow.