Lobbyismus und Meinungsfreiheit - ein Kommentar

Bernd Lucke (2017). Bild: Malthesar/CC0

Ölkonzerne geben Unsummen für Lobbyarbeit aus, aber Konservative und Rechtsextreme sehen Meinungsfreiheit vor allem von deren Gegnern bedroht

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Beachtliche 251 Millionen Euro haben die fünf größten Ölkonzerne (BP, Chevron, ExxonMobil, Shell und Total) und ihnen verbundene Industrieverbände zwischen 2010 und 2018 ausgegeben, um die EU-Institutionen zu beeinflussen. Das ist das Ergebnis einer von verschiedenen Umweltsachverbänden und anderen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) durchgeführten Untersuchung. Zusammen beschäftigen die Konzerne allein in Brüssel eine Heerschar von 200 Lobbyisten.

So viel zum Stand der Meinungsfreiheit, deren vermeintliche Gefährdung zur Zeit von Konservativen und Neoliberalen beschrien wird, weil Studenten keine Lust auf rechtslastige Vorlesungen an ihren Hochschulen haben oder weil Klimaschützer von den Regierungen und Parlamenten fordern, wissenschaftliche Erkenntnisse ernst zu nehmen.

AfD-Gründer Bernd Lucke stilisierte sich kürzlich gar zum Opfer, weil er Greta Thunberg nicht kritisieren dürfe, ohne als Klimaleugner bezeichnet zu werden. Angesichts der zahlreichen Morddrohungen, denen nicht nur Greta Thunberg, sondern alle nur halbwegs prominenten jungen Aktivistinnen permanent ausgesetzt sind, ist das schon eine besondere demagogische Leistung. Zumal sich Lucke nicht gerade über mangelnden Zugang zu den großen Medien beklagen kann.

Auf die Idee, dass die Meinungsfreiheit durch die unzähligen Morddrohungen gegen die jungen Schülerinnen und Studentinnen - ja, es sind tatsächlich vor allem die jungen Mädchen und Frauen, die massiv angegriffen werden - gefährdet sein könnte, auf die Idee scheint Lucke nicht zu kommen. (Die Erfahrung von Aktiven in der Flüchtlingshilfe zeigte in den letzten Jahren übrigens, dass man sich keineswegs darauf verlassen kann, dass es bei verbalen und schriftlichen Attacken bleibt.)

Was hat das eine mit dem anderen zu tun, mag sich der geneigte Leser fragen. Nun, sowohl die Lobbyarbeit der Industrie, die Morddrohungen gegen Aktivistinnen als auch Luckes demagogische Verdrehung von Tatsachen zielen alle darauf ab, Klimaschutz zu verhindern, Interessen der alten Industrien durchzusetzen und sozialen Protest an den Rand zu drängen und zu diskreditieren.

"Die großen Verschmutzer wie Shell, BP und ihre Lobbyorganisationen haben mit Einsatz erheblicher finanzieller Mittel die Reaktion der EU auf die Klimakrise verzögert, verwässert und sabotiert. Für eine gute halbe Milliarde Eure kann man in Brüssel eine Menge Zugang und Einfluss bei den zuständigen Behörden kaufen."
Pascoe Sabido, Corporate Europe Observatory

Natürlich könnte man den Zugang der Unternehmen zu den Parlamenten, Regierungen und zur EU-Kommission auf ein Maß beschränken, wie es jeder Bürger hat. Die Parlamente können ja jederzeit öffentliche Anhörungen organisieren, wenn sie den Rat von Betroffenen und Experten meinen zu brauchen. Im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren ist dies ohnehin gang und gäbe, nur dass es mit der Öffentlichkeit und bei der Einbeziehung der Bürger meist hapert.

Das bisher für Lobbyarbeit ausgegebene Geld ließe sich derweil mit Steuern abschöpfen und zum Beispiel in den Ausbau erneuerbarer Energieträger stecken, der von den alten Energiekonzernen noch immer vernachlässigt wird. Der ist bei den Kommunen ohnehin besser aufgehoben.

Allerdings kann man wohl sicher sein, dass dann erneut ein großes Gezeter anheben würde, der Sozialismus stünde vor der Tür – wie derzeit in Berlin wegen des Mietendeckels und der populären Enteignungskampagne – und Klimaschützer wollten unternehmerische Freiheiten beschneiden. Sei es drum.