Löcher im Schweizer AKW
Sicherheit ist auch eine Frage der Nachlässigkeit. Am Reaktor Leibstadt haben Arbeiter für das Aufhängen von Handfeuerlöschern mal eben das Primärcontainment des AKW angebohrt
Das Schweizer AKW Leibstadt liegt direkt an der Grenze zu Baden-Württemberg. Wie erst jetzt aufgefallen ist, waren 2008 für den Schutz im Brandfall Feuerlöscher installiert worden. Anscheinend erschien den Arbeitern dafür die Stahlhülle des Primärcontainments am robustesten, um die Dübel zu halten, so dass sie sechs [korrigiert:] 6 mm breite und 3,8 Zentimeter tiefe Löcher in den Sicherheitsbehälter trieben. Nach Bekanntwerden dieser improvisierten Arbeiten am Schutzbehälter kommentierte Jörg Gantzer vom Landratsamt Waldshut: "Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass jemand auf die Idee kommt, die Stahlhülle des Primärcontainments anzubohren ... Kaum auszudenken wenn es in dieser Zeit einen Störfall mit einem Druckanstieg im Reaktor gegeben hätte."
Dem Eidgenössischen Nuklear-Sicherheitsinspektorates (ENSI), dem die Veränderungen am Sicherheitsbehälter erst jetzt aufgefallen sind, versuchte zu beschwichtigen. Immerhin sei bisher keine Radioaktivität entwichen. Und inzwischen sei der Auftrag erteilt worden, die Löcher wieder zuzuschweißen. Die Sprecherin des Kernkraftwerkes Leibstadt meldete Vollzug, es sehe so aus, dass die Löcher abgedichtet worden seien und die Behörden hätten bestätigt, die Arbeiten seien zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt worden.
Und jetzt ist alles gut? Wohl eher nicht. AKWs bleiben ab ihrer Inbetriebnahme und noch weit über ihre Laufzeit hinaus anfällig nicht nur für technische Störungen, sondern auch für Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit, die, wie der Fall zeigt, teilweise erst Jahre später auffallen. Weil es in der Schweiz keine festen Abschalttermine gibt, muss die geflickte Stahlhülle noch mindestens bis irgendwann nach 2040 halten. Und dann beginnt die Phase des Abrisses, der Einlagerung und ewigen Bewachung der strahlenden Überreste, wenn diese denn überhaupt über so viel Jahre aufrecht erhalten werden kann, beziehungsweise sich jemand findet, der die Ewigkeitskosten zahlen will.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Entwicklungen, die der aktuelle World Nuclear Industry Status Report 2014 (WNISR) aufzeigt. So gibt es wegen der hohen Bau- und Ewigkeitskosten der Kernkraft (bei uns ist ja gerade bekannt geworden, dass über eine Stiftung die Kosten letztlich nicht von den Unternehmen, sondern der Gesellschaft bezahlt werden sollen) keine Renaissance der Kernkraft, sie ist vielmehr schon längst eine auslaufende Kraftwerkstechnik. Laut dem Report waren 1988 in den heutigen 28 EU-Staaten 177 Atomkraftwerke am Netz, heute sind es noch 131. Die Abschaltquote beträgt also bisher 1 Prozent pro Jahr, wird sich aber mit dem deutschen Atomausstieg und dem Abschalten alter Reaktoren in den nächsten Jahren beschleunigen.
Ein Trend, den der Report auch weltweit anhand der Verlagerung der Investitionen in die Kraftwerkstechnik nachzeichnet. 2013 flossen 57 Prozent aller Energie-Investitionen in die Erneuerbaren, 40 Prozent in die Fossilen, aber nur noch drei Prozent in die Atomkraft. In China, dem größten Energieverbraucher der Welt, hat 2014 sogar allein die installierte Photovoltaik-Leistung bereits die Gesamtleistung der AKWs im Land überholt.