Merk toppt Haderthauer
Die bayerische Justizministerin will den Missbrauch im Sportbund-Ferienlager auf "Killerspiele" schieben
Die Vergewaltigungen, die im Sportbund-Ferienlager auf der Insel Ameland vorfielen, seien bedauerliche "Einzelfälle", schrieben die Heilbronner Stimme und andere deutsche Medien. So wie in vielen anderen Missbrauchsfällen zuvor, die fast immer in den Bereichen Sport, Kirche, Schule und Familie auftreten.
"Einzelfälle" sind deshalb bequem, weil man sich keine Gedanken über strukturelle Ursachen machen muss. Zum Beispiel darüber, was die Bereiche gemeinsam haben, in denen ritueller beziehungsweise hierarchiebildender Missbrauch vorkommt. Ob es richtig ist, angesichts all der Missbrauchsfälle weiter Schlafsaal- und Mehrbettzimmerideologien zu pflegen. Was man von einem organisierten Sport erwartet, der Figuren wie Franck Ribéry und Oliver Kahn als Vorbilder stilisiert. Und, ob die mit Milliarden von Steuergeldern subventionierten Sportvereine nicht, wie etwa Ursula Enders vom Opferhilfeverein "Zartbitter" meint, "institutionalisierten Missbrauchsstrukturen" und einen "Nährboden für sexuelle Gewalt" bieten. Der Pädagogin zufolge ist sexuelle Gewalt dort nicht nur weit verbreitet, sondern kommt sogar häufiger vor als in der katholischen Kirche.
Eine noch einfachere Lösung als den "Einzelfall" hat die bayerische Justizministerin Beate Merk: Sie meinte zu den Vorfällen im Rahmen der Sportbund-Jugendfreizeit, dass die FDP ihren Widerstand gegen die Einführung einer Zensur-Infrastruktur aufgeben solle und "Killerspiele" verboten werden müssten.
Dass auch ausgewiesene Experten keinerlei Computerspiele kennen, in denen so etwas wie in Amerland auch nur ansatzweise zur Spielhandlung gehört, fällt in einer politischen Kultur, in der Merks Kollegin Haderthauer der FDP eine "sozialistische [sic] Familienpolitik à la Pinochet" unterstellen und dabei nicht nur geschäftsfähig, sondern auch noch Ministerin bleiben kann, offenbar nicht weiter auf. Ebenso wenig stört anscheinend die Tatsache, dass die bayerische Justizministerin mit ihren grob unsinnigen Schuldzuweisungen eine Debatte über die wahren Ursachen verhindert – und damit den nächsten "Einzelfall" geradezu heraufbeschwört. Aber der kann ja dann wieder bequem mit "Killerspielen" erklärt werden. Oder mit dem Fehlen einer Internet-Zensurinfrastruktur. Und wenn es die bis dahin schon gibt, dann ist sie einfach nicht umfassend genug und muss ebenso verschärft werden wie das Verbot von "Killerspielen".