Messies und die Vorratsdatenspeicherung

Außer Kontrolle

Ein Polizeikongress, ein "Kampfbegriff" und "datenfreie Zeiten"

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Alles kann ja irgendwann mal nützlich sein

Wer einen noch so kleinen Garten besitzt oder sogar noch ein paar Tiere sein eigen nennt, die er auch wegen des Fleisches hält, der wird schnell feststellen, dass bei einer optimalen Planung sowohl Frisches als auch Konserviertes zur Verfügung steht - bzw. Sofortverwertung wie auch Konservierung Hand in Hand geben. Während zum Beispiel das Zucchinigericht zubereitet wird und die Gans im Ofen schmort, wandern die übrigen Zucchini in Weckgläser und das Gänsefett wird kühl gehalten, um als Butter- oder Ölersatz zum Braten, Kochen etc. zu dienen.

In den Monaten, in denen nur wenig frisches Gemüse und Obst auf den Tisch kommen kann (sofern nicht auf Gekauftes zurückgegriffen wird), dienen die Konserven dann als Ergänzung und um Mangel zu vermeiden.

Viele, die mit der Selbstversorgung beginnen, merken schnell, dass sich ein Problem auftut, welches zunächst nicht beachtet wurde: das Wegwerfen. Wer sich einige Monate lang hingebungsvoll um seine Tomaten gekümmert hat, der will ungern auch nur eine Frucht wegwerfen - und so wird in den Erntemonaten alles, was vorhanden ist, gesalzen, geräuchert, in Öl, Essig, Alkohol oder Fett eingelegt, getrocknet oder mit Zucker gemischt.

Da die Bereitschaft, von diesen unter Aufwand von Zeit und Mühe angefertigten Vorräten etwas wegzuwerfen, ebenso gering ist wie die Bereitschaft, anfangs etwas wegzuwerfen, biegen sich bei so Manchen schon nach wenigen Jahren die Regale der Vorratskeller unter der Last all der Konserven, die letztendlich nie gegessen, sondern jedes Jahr durch noch mehr Konserven aufgestockt werden; ergänzt durch aufgehobene Gläser, Plastikbecher und -tüten et cetera.

Die Grenze zum Messietum ist bei manchen fließend, wenn sich noch die Briefumschläge ("Daraus lassen sich bestimmt noch Aufkleber für die Gläser machen"), Gummibänder, Korken und Schraubverschlüsse etc. hinzugesellen.

Unendlicher Datenhunger

Gerade bei der Vorratshaltung heißt das Zauberwort, dass eine sinnvolle Lagerung von einem Aufbewahren um jeden Preis abgrenzt daher: Kontrolle. Was wird benötigt, wie lange und für wen, was wird sowieso immer wieder vorhanden sein, so dass es nicht unter allen Umständen aufbewahrt werden muss; wer isst was und wie oft ... Dies sind alles Aspekte, die bei einer Vorratshaltung bedacht werden müssen und sollten, um ein Ausufern zu vermeiden.

Bei der "Vorratsdatenspeicherung", die zuletzt als Mindestspeicherfrist wieder auftauchte und spätestens seit dem Attentat in Frankreich wieder in aller Munde ist, wird diese Kontrolle außer Acht gelassen. Hier herrscht eher die Ansicht "viel hilft viel" - und wer sich ansieht, wie die anfänglichen Listen der Strafverfolger aussahen, fühlt sich eher an Messies erinnert, die sich nicht von dem kleinsten Bisschen trennen können.

Nun lässt sich zwar sagen, dass bei der Politik gerne Maximalforderungen gestellt werden, um letztendlich bei einem (Minimal)konsens zu landen - doch dieser Minimalkonsens hat stets weitere Forderungen zur Folge.

Die VDS, in Deutschland zunächst gescheitert, dann über EU-Umwege doch verabschiedet und schließlich über den EU-Umweg zum erneuten Scheitern gebracht (siehe Chronik), ist das geradezu krankhaft wirkende Verlangen nach noch mehr Daten, noch längeren Speicherfristen, noch mehr Befugnissen. Sie ist auch ein Zeichen für politische Reflexe (Ein Attenat? Wir brauchen die VDS) und der Versuch, durch noch mehr Daten Geschehnisse verhindern zu können, die ihre Motive in (gesellschaftlichen) Missständen haben, für die keine wirklichen Lösungsvorschläge vorhanden sind.

Die Klage, dass die VDS als "Kampfbegriff" genutzt werde, der suggeriere, hier würden Daten für eine "datenfreie" Zeit gehortet werden, läuft ins Leere. Zum einen geht es nicht um datenfreie Zeiten - auch wenn es gilt, selbst beim Fehlen von aktuellen Daten zumindest ältere Daten zur Verfügung zu haben. Es geht vielmehr darum, neben den aktuellen Daten stets auch auf ältere zugreifen zu können, also datenfreie Zeiten zu vermeiden.

So wie bei der aus der Ruder geratenen Vorrratshaltung des Selbstversorgers, der zwar schon wieder Gurken einweckt und Pfefferminze trocknet, im Keller jedoch bereits 100 Gläser eingeweckte Gurken und 20 Gläser getrocknete Pfefferminzblätter aufbewahrt, so sind auch diejenigen, die stets nach (mehr) VDS und anderen Datensammlungen und Befugnissen rufen, nicht mehr in der Lage, die Spreu vom Weizen zu trennen oder gar ihr Sammelverhalten zu beschränken.

Dass dies letztendlich nur nach einem Ruf nach totaler Datenspeicherung und Überwachung führen muss, ist klar. Ähnlich wie in dem überfüllten Vorratskeller sollen sich Fluggast-, Telekommunikations-, Gesundheits-, Konten- und andere Daten quasi stapeln, um hoffentlich in irgendeinem Fall dann eine bessere Aufklärung zu ermöglichen.

Eine Begrenzung der Begehrlichkeiten ist bei diesem irrealen Denken nicht mehr absehbar. Es geht insofern nicht darum, in datenfreien Zeiten Daten zur Verfügung zu haben, es geht darum, niemals irgendwelche datenfreien Zeiten zu erleben. Der gläserne Mensch, der nur noch als Heuhaufen für die Suche nach der (Kriminellen)Nadel dient, ist die logische Schlussfolgerung dieser politischen Reflexe.

Auch die Kritik, hier sei ein Kampfbegriff etabliert worden, ist scheinheilig. Als anfangs der Ruf nach der "Data Retention" aufkam, wurde der Begriff Vorratsdatenspeicherung als deutsche Übersetzung auch von der Politik und den Strafverfolgern gerne und oft genutzt. Dies änderte sich erst, nachdem es der "Zivilgesellschaft" gelungen war, erfolgreich den Protest gegen die Maßnahme nicht nur auf virtuelle Beine zu stellen, sondern auch juristisch und durch Massendemonstrationen zu ergänzen.

Der von der Zivilgesellschaft oft sogar als zu verharmlosend kritisierte Begriff "Vorratsdatenspeicherung", der auch als anlassunbhängige Speicherung von Telekommunikationsdaten definiert wurde, war so lange kein Problem, bis er nun nicht nur bei der Politik, sondern auch bei der Bevölkerung zu Reflexen führte. Die Kritik daran entbehrt jeder Selbstkritik an der VDS bzw. ihren Begründungen im allgemeinen. Hier zeigen sich eher die datengierigen Diven verletzt, weil sie nicht nur mit Begeisterung empfangen werden.