Mythologisierung eines Toten
In Polen wird darüber gestritten, ob der umstrittene Präsident Kaczynski wirklich auf dem Wawel beerdigt werden soll
Wer sich von Lech Kaczynski und seiner Ehefrau Maria verabschieden möchte, muss sehr viel Geduld mitbringen. Obwohl nach Angaben der Präsidialkanzlei 800 Personen pro Stunde in den Präsidentenpalast hereingelassen werden, müssen die Menschen bis zu 13 Stunden warten.
Dies zeigt, wie groß die Anteilnahme der Polen an diesem Unglück ist ( Polen - Land im Ausnahmezustand). Selbst jene, die Lech Kaczynski als Politiker nie mochten, stehen an, um von dem im Präsidentenpalast aufgebahrten Staatsoberhaupt Abschied zu nehmen. Auch wenn Kaczynski das Land polarisierte wie kein anderer seiner Vorgänger, sehen die meisten Polen, auch aufgrund ihres Geschichtsverständnisses, dessen Tod als einen nationalen Schicksalsschlag an.
Doch nicht alle die trauern, sind mit der Grabstätte Kaczynskis auf dem Wawel einverstanden. Die Idee zu diesem besonderem Grab soll nach Recherchen der Krakauer Redaktion der Gazeta Wyborcza von der Familie des verstorbenen Präsidentenpaares, mit Jaroslaw Kaczynski an der Spitze, den Spin-Doktoren der konservativen Recht und Gerechtigkeit ( PiS) und dem Kardinal von Krakau, Stanislaw Dziwisz, stammen.
Dass ausgerechnet die Speerspitze des polnischen Konservatismus diesen Vorschlag macht, ist nicht überraschend. Die ehemalige Königsresidenz in Krakau ist das nationale Heiligtum der Polen und durch eine dortige Grabstätte würde Kaczynski zu einem nationalen Mythos erhoben werden. Denn in der Krypta der Wawel-Kathedrale sind nicht nur die polnischen Könige begraben, sondern auch bedeutende Persönlichkeiten der Neuzeit. Neben den Schriftstellern Adam Mickiewicz und Juliusz Slowacki sind hier auch die Grabstätten von Josef Pilsudski und dem 1943 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Premierminister der Exilregierung, Wladyslaw Sikorski. Bis auf Pilsudski wurden alle erst Jahre nach ihrem Tod in die Krypta des Wawel umgebettet.
Während sich Polens führende Politiker mit ihrer Kritik an der Entscheidung zurückhalten, sicherlich auch um dem Vorwurf zu entgehen, während der Staatstrauer Parteipolitik zu betreiben, ist die Kritik der Öffentlichkeit mehr als nur laut zu vernehmen. "Der Wawel ist aus historischer Sicht ein bedeutender Ort. Hier ruhen die polnischen Könige und andere große Polen. Und dies soll auch so bleiben", heißt es in der Erklärung einer Initiative, die bei Facebook gegen die Beisetzung Kaczynskis auf dem Wawel protestiert und mittlerweile 44.000 Anhänger gewonnen hat. Zudem konnte die Initiative mehrere tausend Menschen mobilisieren, die in einigen Städten gegen diese Entscheidung demonstrierten. In Krakau fanden noch gestern lautstarke Proteste statt.
Nicht nur ein Teil der Bevölkerung ist gegen die Beisetzung der Kaczynskis in dem für Polen so wichtigen Ort. "Präsident Lech Kaczynski war ein guter und bescheidener Mensch. Doch es gibt keine Gründe dafür, ihn neben den Königen Polens auf dem Wawel zu bestatten, und dann noch neben Josef Pilsudski", erklärte der Regisseur Andrzej Wajda, dessen Film Katyn zum Symbol des Unglücks wurde, und rief den Krakauer Erzbischof dazu auf, seine Entscheidung rückgängig zu machen. Eine Meinung, die auch andere Persönlichkeiten teilen und äußern.
Ziemlich scharf reagieren Polens Konservative auf diese Kritik. "Diejenigen, die protestieren, sind keine Patrioten", erklärte Andrzej Duda, Staatsminister in der Präsidialkanzlei und bekam dafür viel Applaus von den Anhängern der Kaczynskis, die ihre Sichtweise ebenfalls lautstark im Internet und auf der Straße vorbringen.
Um die Situation nicht noch mehr anzuheizen, haben sich mittlerweile einige führende Medien aus dieser Debatte ausgeschaltet. Erst nach der Beendigung der Staatstrauer will sich beispielsweise die Gazeta Wyborcza zu dem Thema wieder äußern. Ein Hinweis darauf, dass über die Grabstätte Kaczynskis auch noch in den nächsten Wochen heftig debattiert wird.
Unterdessen finden in Krakau die Vorbereitungen für die am Sonntag stattfindende Beisetzung statt, die für die altehrwürdige Stadt eine logistische Herausforderung darstellen wird. Neben zigtausend Polen, die in Sonderzügen und Bussen nach Krakau reisen werden, haben sich auch Vertreter von 55 Staaten und Organisationen angemeldet, darunter Horst Köhler, Angela Merkel, Barack Obama, Dimitrij Medwedew und Jose Manuel Barroso.
Erste Ergebnisse gibt es bei der Aufklärung des Flugzeugunglücks. Wie die russische Nachrichtenagentur Interfax gestern berichtete, und sich dabei auf russische Ermittler berief, soll der Pilot allein die Entscheidung getroffen haben, trotz der Warnungen in Smolensk zu landen. Damit würde der These widersprochen werden, Kaczynski selbst habe zur Landung gedrängt. Wie die polnischen Behörden jedoch mitteilten, wird es noch einige Wochen dauern, bis die Absturzursache endgültig geklärt ist. Um jedoch jegliche Spekulationen zu vermeiden, sollen die Aufzeichnungen der Black Boxen veröffentlicht werden.