Nehm'se mal Haltung an!
Ein, zwei Takte zu Rudolf Mareschs Spex-Durchblickerei
Ich blickte zunächst mal gar nicht durch. In einem Artikel über die "Pop-Postille Spex" beruft sich ein Herr Rudolf Maresch auf Dinge, die ich angeblich gesagt hätte:
"Ihr Bestehen verdankt , folgt man den Ausführungen Dirk Scheurings, Gründungsmitglied und Teilhaber damals, weniger ihrer inhaltlichen Ausrichtung, als vielmehr dem Desktop Publishing, das anfangs vorwiegend von einer alleinerziehenden Setzerin betrieben wurde."
Das ist ein bemerkenswerter Satz, weil ich den Herrn Maresch gar nicht kenne, und weil er einige Leute, die ich schon lange kenne, ziemlich wütend auf mich machen könnte, und zwar aus gutem, wenn auch falschem Grund. Denn wenn der Herr Maresch mich kennen würde, dann würde er wissen, dass ich überhaupt kein Gründungsmitglied der Spex war.
Die erste Spex-Ausgabe erschien im September 1980, und ich tauschte sie bei Clara Drechsler gegen ein Exemplar meines Fanzines Kolonie ein. Ein paar Monate später erschien eine weitere Kolonie-Ausgabe, parallel zur und unabhängig von der Spex, aber das Zine war meine Solo-Schau, ich war Zivi, dazu Sänger in der Punk-Band FASAGA, und es wurde mir zu viel mit der Arbeit. Clara und der damalige Art Director Christoph Pracht boten mir an, als Autor und Layout-Gehilfe bei ihnen einzusteigen; das sah nach weniger Arbeit aus, weil ich da nicht alles allein machen musste, und so gab ich die Kolonie auf.
Mein erster Spex-Text war ein Konzertbericht über Ruts D.C., erschienen, wenn ich mich nicht irre, im April 1981, und noch unter meinem Zine-Herausgeber-Namen, Donald Fuck. In den folgenden Monaten habe ich dann ziemlich intensiv mitgearbeitet, und als im Sommer ’81 die Mitgründerin und Mitinhaberin Mo Koenen aus dem Projekt ausstieg, übernahm ich ihre Stelle als "Schulden-Haber".
Kennzeichnend für die Herausgeber der frühen Spex war nämlich, dass das die Leute waren, die finanziell den Kopf hingehalten hätten, wenn einer der Wechsel geplatzt wäre, die uns die Druckerei zeichnen ließ. Erst ab ’83 entspannte sich die Lage langsam, nach der Einstellung von Gerd Gummersbach als Geschäftsführer – der erste Mensch in dem Laden, der ein Minimum an kaufmännischer Erfahrung mitbrachte. 1988, nach einer länglichen Auseinandersetzung über die zukünftige Ausrichtung der Zeitschrift, kauften mir meine Mitgesellschafter meinen Firmenanteil ab und übertrugen ihn an Diedrich Diederichsen.
Anders als es Herr Maresch behauptet, hing für mich das Bestehen der frühen Spex durchaus an ihren Inhalten; bloß hätten wir die Produktion derselben überhaupt nicht bezahlen können, wenn wir nicht am Anfang schon unsere Heimarbeiterin mit ihrem IBM Composer gehabt hätte, und unsere Druckerei eine Bogenoffset-Maschine der damals jüngsten Generation, die den Druckpreis auf ein für einen No-Budget-Verlag verkraftbares Maß senkte. Wir waren Pioniere bei der Nutzung neuer Medienproduktions-Technologien – 1984 schafften wir Aldus Pagemaker an, das damals noch auf einem PC lief. 1988 reichte nur noch einige freie Mitarbeiter ihre Manuskripte auf Papier ein, die meisten Autoren gaben bereits Disketten ab; die Zeitschrift entstand komplett am Bildschirm, Jahre vor der entsprechenden Umstellung bei Stern, Spiegel, ZEIT und anderen Großverlags-Magazinen.
Ohne diese Entwicklung und die damit einhergehende Kostenersparnis hätten wir die Verbreitung unserer Inhalte nach meiner Überzeugung nicht finanzieren können; hätten wir die Inhalte allerdings nicht zunächst schon mal gehabt, dann hätte uns all die tolle Technologie auch nicht weitergeholfen. Wenn ich tatsächlich denken würde, dass die frühe Spex nicht von ihren Inhalten abgehangen hätte, ich würde mich für schön blöd halten.
Allerdings waren Christoph Pracht und ich die Einzigen aus dem harten Kern, die Computer für wirklich geil und wichtig und weltbewegend hielten, und ich wohl noch ein ganzes Stück mehr als Christoph. Den anderen war das alles lange Zeit relativ egal, Hauptsache, die Nummer kommt pünktlich raus, weil: Inhalte, Inhalte, Inhalte! Für mich war die Technologie nicht nur zunehmend Teil der Inhalte, weil sie die Produktionsprozesse von Hip-Hop, House und Techno in den 80ern prägte und den Künstlern zunehmend mehr Macht in zumindest einem Teil des Musikbusiness gab – ich wollte generell mehr damit machen als eine Zeitschrift, wollte beispielsweise, dass der Spex Verlag ein Label gründete, Platten veröffentlichte, träumte von einer elektronischen Ausgabe, noch ehe es das World Wide Web gab.
Nachdem Hans Nieswandt und ich Clara und Diedrich Anfang 1991 als Redakteure ersetzt hatten – ich kam auf Diedrichs Wunsch zurück, nicht auf Wunsch von Hans –, wurde recht schnell klar, dass ich mit meinen diversen „Visionen“ einmal mehr zum Arzt geschickt werden würde. Wenn jedoch der mir nicht bekannte Herr Maresch behauptet:
Dirk Scheuring, der 1991 auf Bitten von Hans Nieswandt, der das Heft von Diederichsen übernommen hatte, für kurze Zeit wieder eingestiegen war, beklagt heute den mangelnden ‘Spirit’ und die ‘Unbeweglichkeit’ der Redaktion, die seiner Ansicht nach gegenüber Neuerungen zu wenig aufgeschlossen war,
dann ist das Kappes, weil, ich war ja die halbe Redaktion, und Hans war die andere Hälfte, und zusammen waren wir aufgeschlossener als eine Kompanie britischer Soldaten auf Extasy. Was ich an dieser Stelle beklagen würde, wäre die erstmalige Entstehung eines Grabens zwischen der Spex-Redaktion und der Mehrheit der Herausgeberschaft, zu der damals ja auch Leute wie Wilfried Rütten und Peter Bömmels gehörten, Namen, die der Herr Maresch nirgendwo erwähnt, vermutlich, weil er keine Ahnung hat, wer das ist und welche Rollen die in diesem Gefüge spielten. Ja, die verstanden mich zu diesem Zeitpunkt wohl tatsächlich nicht mehr, und das empfand ich als bitteren Verlust. Andererseits muss ich eingestehen, dass es ’91 nicht sonderlich schwer war, mich für einen wilden Techno-Phantasten und meine Zukunftsvorstellungen für ein bisschen gaga zu halten, zumal, wenn man zehn Jahre älter war als ich.
"Laut Scheuring musste man zu jener Zeit zu allem, was man hörte, las oder schrieb, eine Haltung zeigen. Einfach nur Musik hören und ein ‘interesselosen Wohlgefallen’ dafür entwickeln, ging nicht und war untersagt. Alles, was auf die Redaktionstische kam, musste bemeint und beurteilt, begründet und verteidigt werden. Die ‘Schlaumeier’-Attitüden, die die Spexler entwickelt hatten und ständig wie eine Monstranz vor sich hertrugen, kamen nicht von ungefähr."
Wieso der Herr Maresch, den ich ja nicht kenne, mich hier schon wieder als Autorität zitiert, weiß ich nicht – aber es ist die Stelle, an dem ich ihm Recht gebe, das Einzige in seinem Text, das ich absegne, ja, und Amen. Haltung, klar; der Herr Maresch kann sich offenbar nicht vorstellen, dass es Leute gibt, für die das Bemeinen und Beurteilen, das Begründen und Verteidigen zu den Kernaufgaben einer unabhängigen Redaktion gehört, zumal vor mehr als 20 Jahren, in einem Printmedium, wo es ja nur 64 Seiten Platz gab pro Monat, oder 72, wenn das Geld so weit reichte, und nicht unendlich lange Spalten soviel man will, jeden Tag verfügbar, wie jetzt im Web. Da musste um jeden Quadratzentimeter wertvollen Weltdarstellungsraumes erbittert gekämpft werden. Wenn ich allerdings in Folge meines Einnehmens einer Haltung im nächsten Satz als Kronzeuge für irgendwelche "‘Schlaumeier’-Attitüden" herhalten soll, dann geht mir echt die gute Grille flöten: Ein Typ, altersmäßig in der Hippie-Generation zu verorten, der aber nirgendwo dabei war, der Jahrzehnte zu spät um die Ecke kommt mit seinen Urteilen und Meinungen, und der auch noch so tut, als hätte ich da was so beurteilt und bemeint, wie er das wohl gern getan hätte, wenn er denn irgendwas getan hätte, obwohl er nicht mal den Mumm hatte, sich mir jemals persönlich vorzustellen – der ist mir ein Schlaumeier!
Ich war dann endgültig raus, Ende ’91, und der Herr Maresch hört auf, mir irgendwelchen Quatsch in den Mund zu legen. Mit dem Quatsch im Allgemeinen hört er freilich noch lange nicht auf:
"Diedrich Diederichsens Text ‘The Kids Are Not Alright’ von 1992 gab den Startschuss für diesen neuen ‘Kulturstalinismus’, der in und außerhalb der Spex für einige Jahre praktiziert wurde. Danach war jedenfalls nichts mehr wie zuvor."
Wie bitte?!? Diedrich war immer Stalinist gewesen, die ganzen 80er hindurch, das hat der dauernd überall hingeschrieben, das war seine Haltung! Ich habe das oft bekämpft, aber an den entscheidenden Punkten hat er immer die Mehrheit auf seine Seite ziehen können; ja, das war Scheiße für mich, aber deshalb lass ich doch jetzt nicht meinen alten Lieblingsgegner in den Schmutz ziehen von irgendeiner Penntüte, die sich auf ihre alten Tage doch noch mal profilieren möchte. 1992 als Start des Stalinismus bei der Spex? Nix beigetragen zu haben ist läppisch; nix gelesen zu haben ist indiskutabel.
Dann nörgelt der Herr Maresch noch Meilen weiter, simuliert Kompetenz in Hinsicht auf redaktionelle und betriebswirtschaftliche Interna, zu denen ich mich auf Grund fehlenden Einblicks nicht zu einer öffentlichen Meinungsäußerung hinreißen ließe, alles ohne Beleg, vor allem aber ohne jede Originalität und eigene Haltung. Dass die Spex "verquast", "obskur" und "überflüssig" sei, stand praktisch von Anfang an in jedem zweiten Leserbrief, der in der Redaktion einging. Maresch rhabarbert weiter und weiter, bis er dann schließlich, auf den letzten Zentimetern seines schier endlosen Internet-Riemens, auf den eigentlichen Anlass seines Artikels zu sprechen kommt: Das Buch "Spex – 33 1/3 Jahre Pop", vor etwa zwei Monaten erschienen beim Berliner Metrolit Verlag.
Und nicht mal hier, bei seinem eigentlichen Kernthema und aktuellen Aufhänger, bezieht Maresch eine eigene Position, sondern quatscht schamlos nach, was Andere vor ihm über das Thema geschrieben haben:
"Wie zu erwarten, gab es sofort Streit über die Auswahl, die Max Dax zusammen mit der Welt-Korrespondentin Anne Waak vorgenommen hat. Sie sei untypisch für die Jahre, sie fröne zu sehr den ‘großen Namen’ und ‘bekannten Themen’ und vernachlässige dabei das Abseitige, Abfällige und Queere, dem sich die Spex immer verpflichtet gefühlt hatte. Auch werde zu wenig auf politische Texte Rücksicht genommen, die vor allem in den 1990ern das Blatt gefüllt hätten."
Nun kenne ich Max Dax und Anne Waak ebenso wenig wie den Rudolf Maresch: Mit Dax habe ich ein paar Kurznachrichten ausgetauscht, mit Waak hatte ich noch nie Kontakt. Aber ich habe eine Haltung: Dieses Buch ist nämlich genau das, was wir verdient haben! Dieses Buch hätte jeder von uns machen können, ich, Clara Drechsler, Jutta Koether, Diedrich Diederichsen, Christoph Pracht, Wolfgang Burat, Barney Schaub, Peter Bömmels, Wilfried Rütten, Ralf Niemcyk, Hans Nieswandt, die Grether Twins, und wie sie alle heißen. Sogar Gurk, oder Dath, oder Terkessidis. Und keiner hat sich getraut: Einerseits aus Respekt vor den Anderen, der es verbot, dass sich Einer oder Wenige zu Deutern und Schwerpunkt-Setzern einer verwinkelten, blutigen und für jeden von uns an irgendeiner Stelle herzzerreißenden Geschichte aufschwangen; andererseits aus Widerwillen gegen den erneuten Tanz im Stahlbad, wahrscheinlich den blutigsten von allen, den es gegeben hätte, wenn das Ding gemäß der überlieferten Spex-Traditionen entstanden wäre.
Es geschieht uns also gerade Recht, wenn dann plötzlich zwei gänzlich Spätgeborene aus dem Unterholz gesprungen kommen, unbeschwert von Respekt und Tradition, um den welken Lorbeer an sich zu reißen und nach Gutdünken eine Textsammlung kompilieren, die zu ihnen und ihren Karriereplänen passen soll und zu sonst gar nichts. Die erscheint dann in einem Verlag, der ansonsten Werke veröffentlicht wie "Ernährungsgrundlagen für den leidenschaftlichen Trinker", "Die Kunst einen Bleistift zu spitzen" und "Mein digitales Ich" – das ist lustig, reich an Anspielungen, das macht unsere wahnwitzige Story so richtig rund, und ich finde es vor allem total gerecht. Niemand muss sich mehr Sorgen machen, ob da noch was geht; endlich verbrannte Erde, für alle. Es ist die mit Abstand zweitbeste Lösung.
Die beste, leider jedoch absolut utopische Lösung wäre gewesen: Joachim Ody. Nicht gewusst? Joachim Ody ist der Dienstälteste aller Spex-Autoren, war schon in der ersten Ausgabe dabei, hat immer weitergeschrieben, und bis jetzt noch jede Spex-Redaktion hat ihn eingespannt, wenn es alle paar Jahre darum geht, die Legende mal wieder mit einer richtig vollfetten Idiosynkrasie aufzufrischen. Der hat sie alle erlebt: Jeden Putschversuch, jedes Scharmützel, jede Krise und Antikrise – Ody ist der Einzige, der den kompletten Überblick hat und sich wirklich ein Urteil erlauben könnte. Sein bisher letzter Spex-Artikel, über das MaerzMusik-Festival 2010 in Berlin, hieß "Phantasmagorien der eigenen Erinnerung – Utopischer Mystizismus, kulturelle Schocks sowie Tod und Trauer ohne Erbarmen". Als Titel für das definitive Buch zur Spex-Geschichte wäre das natürlich der Knüller gewesen; der einzige Haken: Kriegsberichte liegen ihm so gar nicht.
Was aber den Herrn Maresch angeht, der unbekannterweise versucht hat, mich zum Strohmann seiner schäbigen Geschichtsklitterung zu machen: Komm mal rum, Alter; kannst auf meinem Lokus Wasser saufen.