Netzpolitik im 21. Jahrhundert: Charme vs digitale Realität
Ein seltenes Ereignis: Vertreter der Piratenpartei und der CSU sitzen an einem Tisch und diskutieren öffentlich über Netzpolitik. Was kann dabei herauskommen?
Nachdem die als beispielhaft internetfern verschriene CSU im Januar tatsächlich einen Netzkongress abgehalten hatte, entstand in den Reihen der Piraten im Bundesland Bayern die gewagte Idee einer Schwaben/Netzpolitik21: gemeinsamen Podiumsdiskussion. Diese fand tatsächlich gestern statt, im Augsburger Veranstaltungsbäude Zeughaus. Eingeladen wurden die Antipoden zur CSU-Technophobiefraktion, also nicht etwa Beckstein und Herrmann, sondern die stellvertretende Generalsekretärin der bayerischen Staatspartei, Dorothee Bär (die ihren Bundestagssitz anektdotenbildend vom scheidenden Günter Beckstein übernommen hatte) und der CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Reinhard Brandl, aktuell bekannt aus der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. Die Piraten stellten den Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz und den bayerischen Landesvorsitzenden Stefan Körner. Die kritisch aufgeladene Moderation führte Peter Mühlbauer.
Eine explosive Mischung? Die Podiumsdiskussion vor etwa 50 angereisten Interessierten blieb bemerkenswert zivilisiert, und der Zündstoff zwischen den Zeilen. Augenfälliger war da schon das Aufeinanderprallen der Politikstile: Zeigten sich die Piratenvorstände als emotional engagierte, aber sachlich argumentierende Vertreter der Netzkultur, so segelte der Enquete-Experte Reinhard Brandl konsequent am Rand der Blamage, wenn er mit leiser Stimme und gekonntem Ignorieren des Mikrofons (und etwaiger Gegenstimmen) auf der Vorratsdatenspeicherung beharrte (als Scheinargument diente ihm die Worthülse der via Internet begangenen "schwersten Straftaten" a la Kinderpornografie) und den zahlreichen Fallbeispielen von verletzter Netzneutralität seinen Glauben an die Selbstregulierungskräfte des Marktes entgegenhielt.
Das klang so sehr nach ideologisch durchgefärbter CSU-Demokratur im alten Stil, dass dieses Wortgefecht klar zugunsten der Piraten ausgefallen wäre, hätte die alte bayrische Partei nicht die ganze Schlagkraft ihrer netzpolitischen Charme-Offensive in Stellung gebracht; in Person der 33jährigen Vollblutpolitikerin Dorothee Bär. Zwischen launigen Witzchen, persönlichen Bekenntnissen zur Freiheit und dem wiederholten Ausspielen des Frauenbonus hielt die klar erkennbar netzaffine und durchgehend twitternde (offizielles Hashtag #netzp21) Vertreterin der neuen Generation in der CSU allerdings stets eindeutigen Sicherheitsabstand zu den Riffen und Strudeln klarer Aussagen und politischer Kursangaben.
Wenn es ein Fazit der Veranstaltung gibt, dann eines der Vorläufigkeit: Obwohl alle am Ende erleichtert waren, dass ein Eklat ausgeblieben war, mischte sich doch ein enttäuschter Unterton in die Gespräche der Teilnehmer. Dass die Piraten Sicherheit und Freiheit für Internetnutzer fordern und die Etablierten ihre wirtschafts- und kontrollpolitischen Standpunkte lieber verschleiern, wusste man ja schon vorher. Trotzdem markierte der Abend den Fortschritt eines Diskurses, der heute und zukünftig von Politikern wie auch Medienvertretern aller Couleur geführt werden muss.
(Fritz Effenberger ist Bezirksvorsitzender der Piratenpartei in Schwaben)