Nitsch-Aktionskunstklassiker verboten [2. Update]
Leipziger Bürgermeister beugt sich radikalen Tierschützern
Hermann Nitsch ist neben dem kürzlich verstorbenen Otto Mühl und Günter Brus der bekannteste Vertreter der historischen Kunstrichtung des Wiener Aktionismus. Sein wichtigstes Werk ist das Orgien-Mysterien-Theater, in dem er unter anderem durch die Verwendung von Blut und Tierkadavern geistige Grundlagen des Katholizismus und anderer Religionen sichtbar macht. Das Centraltheater Leipzig wollte Nitsch diese dreitägige Performance vom 21. bis zum 23. Juni aufführen lassen, was radikale Tierschützer bei PETA und in anderen Gruppen in Schnappatmung versetzte.
Sie kündigten für Samstag eine Demonstration unter dem Slogan "Tiermord für die 'Kunst' - Nicht mit uns!" an und drohen für den Fall, dass das musikalisch begleitete Spektakel mit "dionysischem" Abschluss wie geplant stattfindet, mit Strafanzeigen gegen Nitsch, den Theaterintendanten Sebastian Hartmann, das Leipziger Veterinäramt "und alle weiteren Beteiligten". Als Grundlagen dafür nannten die Tierschutzpartei-Vorsitzenden Horst Wester und Stefan Eck Verstöße gegen den § 166 des Strafgesetzbuchs (Religionsverunglimpfung) und den § 17 Absatz 1 des Tierschutzgesetzes (Töten eines Wirbeltiers ohne vernünftigen Grund). In diesem Zusammenhang verwiesen sie auf ein Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Februar 2009 0:3834285/action:excerpt: (Az.: 14 Js 1085/06 Ns (144/07)).
Das entschied damals, dass "das Töten zweier Kaninchen durch Genickbrechen und Abschlagen der Köpfe im Rahmen einer Kunstinszenierung" eine sinnlose Tötung im Sinne des § 17 Nummer 1 des Tierschutzgesetzes sein kann – allerdings (wie das Kammergericht später anmerkte) nur dann, wenn weitere Umstände vorliegen, "die den Akt der Tötung in den Vordergrund stellen, indem dieser gleichsam zelebriert […] wird". In Leipzig sollten das für die Aufführung benötigte Rind und die drei dazugehörigen Schweine jedoch nicht während der Performance geschlachtet werden, sondern – wie täglich zigtausende ihrer Artgenossen - in einem Schlachthof. Dass ihr Fleisch nicht gegessen werden sollte, lag nicht an Nitsch, sondern am deutschen Lebensmittelrecht, das den menschlichen Verzehr verbietet, wenn die Ausweidung länger als zwei Stunden dauert.
Trotz dieser Rechts- und Sachlage untersagte der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) heute Nachmittag "den Bezug und die Verwendung von Tierprodukten im Rahmen der Hermann-Nitsch-Inszenierung '3-Tage-Spiel' des Centraltheaters, deren Bereitstellung die Tötung von Tieren eigens für diese Inszenierung voraussetzt". Das Verbot kam sowohl für das Theater als auch für Nitsch sehr überraschend, weil die städtischen Behörden die Performance vorher nach eingehender Prüfung explizit genehmigt hatten.
Update: Das Centraltheater Leipzig versucht derzeit offenbar, die Veranstaltung doch durchzuführen. Dazu, ob und welche Änderungen dafür vorgenommen werden könnten, schweigt man bislang.
2. Update: Am Freitag um 16 Uhr 53 gab das Centraltheater Leipzig ohne weitere Details bekannt, man werde den vom Bürgermeister "präzisierten" Auflagen "vollumfänglich gerecht" und wolle alle drei Teile des Spiels zeigen. Die Herrmann Nitsch Foundation spricht dagegen von "massiven Einschnitten ins künstlerische Konzept". Man habe sich aber entschlossen, die Veranstaltung trotzdem durchzuführen, da sich das Werk "nicht auf das Verwenden von Tierkadavern reduzieren" lasse.