Nobelpreis-Träger Bengt Holmström empfiehlt Macchiavelli
Wie der Wirtschafts-Nobelpreisträger sich verbal durch die Finanzkrise jonglierte und gewann
Es ist ein Dokument von Krisen-Management und Wissenschafts-Prosa, von wortreicher Ungewissheit, von Zweckoptimismus. Derjenige, der dieses Jahr (neben Oliver Hart) mit dem „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften“ ausgezeichnet wird, der Finne Bengt Holmstörm, lässt sich mit dem folgenden Aufsatz zitieren: „Understanding the role of debt in the financial system“ (Januar 2015). Von Schulden ist da die Rede, genauer gesagt von dem fragilen Gleichgewicht, das die Finanzkrise 2008ff. sichtbar aus dem Lot brachte.
Es geht darin schließlich um die auch demokratietheoretische Frage, ob die neueren Kontrollmechanismen für Finanzmärkte, wie „Stresstests“, denn mit öffentlicher Ankündigung und zeitgleicher Beobachtung durchgeführt werden sollten. Wir finden dazu eine bei Akademikern nicht seltene Einerseits-andererseits-Haltung, kombiniert allerdings mit dem Bewusstsein mittlerweile erwiesenen eminenten Risikos. Deshalb muss der kritische Selbstkommentar zum Euphemismus werden:
Let me close by noting that I have said very little about systemic risk.
Das Einerseits ist, dass in normalen Zeiten ja ruhig die Instabilität einer Bank deutlich werden dürfe, das verursache keine Panik. Das Andererseits ist, dass wir uns (auf unabsehbare Zeit) in Krisenzeiten befinden, in denen eine solche Information … Panik verursachen könnte. Deshalb kommt Holmström zu der politischen Empfehlung:
In bad times it would seem prudent to be less transparent with the stress tests (for some evidence in support of this dichotomy, see Machiavelli (1532)).
Ein Professor am Massachusetts Institute of Technology greift also in dieser scheints so gegenwartsfixierten Disziplin auf bemerkenswert frühe Quellen zurück – und dabei auf die eigentlich anrüchtigste politische Theorie, die teilweise als Kampf- und Schmähbegriff Verwendung findet. Auch wenn echten flash boys solch ein Artikel hier schon viel zu langatmig wäre – ihren Wahn können sie doch nur schauen, wenn sie bei solchen Zeilen einen Augenblick verweilen und sich vergegenwärtigen, was sie eigentlich besagen. Holmström trifft offenbar einen Nerv des Nobel-Komitees, wenn er einerseits abstrakt jubelt, die Organisation der Finanzmärkte sei eigentlich schon ganz richtig, et es wie et es und et kütt wie et kütt, …
I have explained why money markets function the way they do and that most of it makes perfect sense.
… wobei aber im nächsten Moment theoretisch auch alles zusammenbrechen könnte, weil die meisten schlecht informiert sind und das Risiko verdrängen:
the systemic risks that build up because of too little information and the weak incentives to be concerned about panics.
Mit anderen Worten: Das System ist eigentlich perfekt, aber es hat ein enormes Risiko, zu einem unbestimmten, aber vielleicht baldigen Zeitpunkt ganz zusammenzubrechen. In weiteren Worten:
The errors were not so much in the design as they were in the implementation and scale.
… was wieder eine künstliche Begriffstrennung von „design“ und „scale“ voraussetzt. Welches „design“ ist denn ein richtiges, wenn es nicht die mögliche Größe seiner Ausführung konstruktiv berücksichtigt?
Der empfohlene Macchiavelli ist also nur eine – plakative, ominös schillernde – Seite von Holmströms Schein-Ausweg aus einem Dilemma, das Wirtschaftswissenschaftler lieber elaboriert nicht erklären, als dass sie Schlüsse zögen, die sie ihre vorübergehende Anstellung kosten könnten. Und hier hat sich der Experte mit paralogischen Argumenten und nassforsch moderiertem double bind eins der höchsten Preisgelder unserer Öffentlichkeit erworben.