"Nur starke Spieler überleben die Krise"
In Polen formiert sich Widerstand gegen die von der Regierung angestrebte Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre
Die Regierungserklärung von Premierminister Donald Tusk im vergangenen November hat bei vielen Polen einen Schock ausgelöst. Tusk, der wenige Wochen zuvor als erster polnischer Regierungschef seit der politischen Wende von 1989 in sein Amt wiedergewählt wurde, kündigte nicht nur Veränderungen im Steuersystem, sondern auch eine schmerzhafte Rentenreform an. Ab 2013 soll das Rentenalter für beide Geschlechter schrittweise bis zum 67. Lebensjahr angehoben werden. Bis jetzt begann das offizielle Rentenalter für Frauen ab dem 60., bei den Männern ab dem 65. Lebensjahr.
Weshalb er sich zu diesem Schritt entschlossen hat, erklärte Tusk ebenfalls. "Wir müssen stark sein, um in Europa eine Rolle zu spielen", sagte der Regierungschef während seiner fast einstündigen Rede. "Nur starke Spieler überleben die Krise." Damit war die Botschaft der Regierungserklärung mehr als eindeutig. Vielmehr als eine Rede an das Volk, dass Tusk in seinem Amt bestätigt hat, war es ein Signal an die internationalen Finanzmärkte: Polen ist trotz der Euro-Krise und der damit verbundenen Schwankungen des Zloty auf dem Devisenmärkten weiterhin stabil und auch zu schmerzhaften Reformen bereit, damit es zukünftig so bleibt. Auch deshalb, um 2015 selber den Euro einzuführen. "Die Rentenreform ist unvermeidlich und die größte Herausforderung in dieser Legislaturperiode", erklärte Regierungssprecher Pawel Gras vor zwei Wochen.
Doch die Polen, die in den letzten 20 Jahren die meisten Reformen durchaus als notwendig ansahen und diese akzeptierten, wollen sich mit der Anhebung des Rentenalters nicht abfinden. Dies zeigt sich nicht nur in den aktuellen Umfragewerten, in denen die Regierung so schlecht abschneidet wie noch nie seit 2007. So sammelte die Gewerkschaft Solidarnosc seit Dezember 1.4 Millionen Unterschriften, die sie vergangene Woche der Parlamentspräsidentin Ewa Kopacz übergab. Nun müssen die Abgeordneten des Sejm darüber abstimmen, ob die Polen selber über die Anhebung des Rentenalters in einer Volksbefragung entscheiden sollen. Doch bei den Mehrheitsverhältnissen im aktuellen Sejm ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Unterschriftenaktion der Solidarnosc Erfolg haben wird. "Genauso hätte sie fragen können, ob die Leute mehr verdienen möchten", kommentierte Tusk die Unterschriftenaktion der Solidarnosc.
Doch die einst legendäre Gewerkschaft, die heute nur noch 400.000 Mitglieder hat, während es in den 1980er Jahren es noch fast 10 Millionen waren, will trotz dieser Abfuhr nicht aufgeben. Für die nächsten Wochen und Monate hat sie weitere Aktionen gegen die Anhebung des Rentenalters angekündigt.
Politisch unterstützt wird die Solidarnosc von der nationalkonservativen PiS von Jaroslaw Kaczynski. Was wenig überraschend ist, da die Solidarnosc in den letzten Jahren zu einer Art Kampftruppe der größten polnischen Oppositionspartei wurde. Doch von allen sechs im Sejm vertretenen Parteien und Fraktionen ist nicht nur die PiS gegen die Rentenreform von Donald Tusk. Die linke SLD will unabhängig von der Solidarnosc ebenfalls Unterschriften für eine Volksbefragung sammeln. Die konservative Gruppierung Solidarisches Polen, die sich im November von der PiS abgespalten hatte, ist ebenfalls gegen die von Tusk vorgeschlagene Rentenreform. Selbst der Koalitionspartner von Tusk, die Bauernpartei PSL zweifelt öffentlich an der Rentenreform und kritisiert vor allem die Anhebung des Rentenalters für Frauen. Lediglich die Bewegung Palikot, die vor allem bei den jungen Polen ihre Wählerschaft findet, zeigt so etwas wie Verständnis für die umstrittene Rentenreform des Premierministers.
Premierminister Donald Tusk und seine liberalkonservative Bürgerplattform halten trotz der breiten Kritik jedoch weiterhin an der Rentenreform fest und verweisen dabei auf andere europäische Länder, darunter Deutschland, wo das Rentenalter ebenfalls angehoben wurde. Ein Argument, dass zu einem Schlagabtausch polnischer Politiker in der polnischen Presse führte. Während Jaroslaw Kaczynski in einem Artikel für das Boulevardblatt Fakt darauf hinwies, dass die Lebenserwartung der Polen unter dem EU-Durchschnitt liege, verwies Finanzminister Jacek Rostowski auf die gestiegene Lebenserwartung der Polen in den letzten 20 Jahren und die demografische Entwicklung sowohl in Polen als auch in Europa. Schon heute kommen in Polen vier Rentner auf einen Arbeitnehmer.
Die Debatte um die Anhebung des Rentenalters und die Lebenserwartung der Polen lenkt jedoch von einer entscheidenden Frage ab: Ist das polnische Rentensystem auch mit der Anhebung des Rentenalters noch zu retten? Diese Zweifel haben nicht nur Experten, sondern auch Mitglieder der Regierung. Auf die Frage einer Fernsehjournalistin, wie er sich für das Alter absichere, antwortete Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef Waldemar Pawlak: "Ich versuche, mich selbst abzusichern, indem ich Geld zurücklege und mich um ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern bemühe, da ich davon ausgehe, dass dies sicherer ist als die irrealen Lösungen des Staates."