Obama: Austeritätspolitik führt zu Frustration und Ängsten

Bei seinem Besuch in Spanien kritisiert der US-Präsident die EU-Sparpolitik, die er für "Stagnation" und "schwaches Wachstum" verantwortlich macht

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Eigentlich wollte der US-Präsident länger in Spanien bleiben. Doch der zweite Besuch, nachdem Barack Obama einst (1988) Madrid als Rucksacktourist besucht hatte, wurde wegen der Lage in den USA nach den tödlichen Schüssen in Dallas verkürzt. Am Dienstag wollte Obama wieder zurück sein. Zuvor aber setzte es auf spanischem Boden noch ein paar Lanzenspitzen gegen die EU-Wirtschaftspolitik.

Obama spießte den europäischen Austeritätskurs auf. Interessant war dabei auch, dass er es offensichtlich nicht für ausgemacht hält, dass der konservative Rajoy weiterregieren kann. Trotz seiner sehr begrenzten Zeit sprach er auch mit den drei wichtigsten Oppositionspolitikern und beschwor gute Beziehungen zwischen beiden Ländern, egal wer gerade Spanien gerade regiere.

Der Obama-Besuch in Spanien war der Aufreger des vergangenen Wochenendes, da die hochbezahlten Kicker der Nationalelf ja längst aus der Europameisterschaft geschossen worden waren. Denn seit 13 Jahren war kein US-Präsident mehr in Madrid. Zuletzt bedankte sich 2003 der konservative George Bush mit seinem Besuch dafür, dass damals der konservative José María Aznar das Land mit Lügen über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen an der Seite der USA in einen völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak geführt hatte, obwohl der Krieg von gut 90% der Bevölkerung abgelehnt worden war.

13 Jahre lang mieden US-Präsidenten das Land, was auch damit zu tun hatte, dass die Sozialisten nach ihrem überraschenden Wahlsieg die Truppen 2004 sofort zurückholten. Und der Obama-Besuch stand unter einem schlechten Stern. Eigentlich wollte der US-Präsident beim Besuch von einem richtigen Regierungschef empfangen werden. Da Spanien seit mehr als einem halben Jahr aber von Mariano Rajoy nur noch geschäftsführend regiert wird, sollte der Besuch eigentlich verschoben werden, bis eine Regierung gebildet ist. Schon nach den Wahlen im vergangenen Dezember konnte keine Regierung gebildet werden und ob das nun gelingt, bleibt abzuwarten.

Offensichtlich geht auch Obama nun davon aus, dass sich die Regierungsbildung in Spanien noch eine ganze Weile hinziehen dürfte. Denn die Wiederholung der Wahlen im Juni hat ganz ähnliche Ergebnissen gebracht und die Regierungsbildung bleibt schwierig. Doch bevor Obama aus dem Amt scheidet, wollte er mit der Air Force One noch einmal als Präsident in die spanische Hauptstadt zurückkehren.

Als Rucksacktourist habe er sich nicht ausmalen können, einmal als Präsident nach Madrid zurückzukehren und "vom König empfangen" zu werden. Der bedankte sich eifrig für einen Besuch in diesen "besonderen Umständen", in denen Spanien sich derzeit befinde. Der Staatschef bekräftigte den "Willen" und die "Verpflichtung" auf eine "stets enge Kooperation", mit einem "befreundeten und weltweit entscheidenden Land", fügte Felipe VI an.

Zwar hat man sich beiderseits protokollarisch gegenseitig auch gelobt, doch der Besuch war alles andere als frei von Spannungen und Widersprüchen. Der geschäftsführende Ministerpräsident machte gute Miene zum bösen Spiel. Deshalb versucht Rajoy innenpolitisch für sich auszuschlachten, dass Obama letztlich nicht umhinkam, dann doch von dem Konservativen empfangen zu werden. Dabei geht auch der US-Präsident davon aus, dass sich Rajoy längst auf einem Schleudersitz befindet. Der ist auch nach dem zweiten Wahlgang von einer Mehrheit weit entfernt. Aber vor allem hat er in vier Jahren mit seiner autokratischen Politik, die von vielen Skandalen begleitet war, praktisch alle potentielle Unterstützer verprellt.

Auch für Obama ist klar, dass die Wiederwahl von Rajoy als Regierungschef alles andere als eine ausgemachte Sache ist, wie dieser und seine konservative Volkspartei (PP) gerne vorgeben. Das zeigte sich deutlich an seinem Verhalten. Obwohl Obama letztlich nicht einmal 20 Stunden in Spanien verweilte, nahm er sich Zeit, um sich wenigstens kurz auch mit den Chefs der übrigen drei großen Parteien zu unterhalten, die in Spanien seit dem Ende des Zweiparteiensystems bedeutsam sind.

Die Zeit, um auch mit dem Sozialistenchef Pedro Sánchez, dem Chef der Empörten-Partei Podemos (Wir können es) und dem Chef der rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) zu sprechen, schrumpfte zwar wegen einer Verspätung weiter zusammen, doch es war eine bedeutende Geste. Sie schränkte die Instrumentalisierung des Besuchs durch die Konservativen ein. Obama zeigte damit, dass mit diesen politischen Kräften in der Zukunft zu rechnen ist. Entsprechend äußerte er sich auch.

Er zeigte sich überzeugt davon, dass Spanien ein solider Partner sein werde, egal von welcher Partei das Land regiert wird. "I’m confident that, whatever shape the next government takes, we’ll continue to have a strong partner in Spain.”

Ohne die konservative Regierung unter Rajoy und ihre Austeritätspolitik direkt anzusprechen, machte Obama im Interview mit der großen Tageszeitung El País dann doch sehr deutlich, was er von der Politik der tiefen Einschnitte, Steuererhöhungen und den harten Sparmaßnahmen für die breite Bevölkerung hält. Denn damit hat Rajoy das Land seit Jahren im Auftrag aus Brüssel und Berlin überzogen.

Dabei wurde das angestrebte Ziel, das Haushaltsdefizit wieder auf die Stabilitätsmarke von 3% zu senken, auch in Spanien weiter verfehlt. Zwar prügelt man in Berlin und Brüssel gerne auf Portugal ein, dabei wird gern verschwiegen, dass Spanien von dem Ziel noch deutlich weiter entfernt ist und nur von Griechenland übertroffen wird.

Seine Distanz zur konservativen Regierung machte Obama auch darüber deutlich, dass er einer Zeitung, die den oppositionellen Sozialisten sehr nahe steht, das einzige Interview gab. Damit wollte er es aber nicht belassen. Neben lobenden diplomatischen Floskeln wurde in dem Interview auch ziemlich deutlich, was er von der Austeritätspolitik hält. Er erklärte, ohne direkt darauf Bezug zu nehmen, dass er die Politik, mit der das so gescholtene Portugal unter der Linksregierung versucht, wieder auf die Beine zu kommen (David gegen den Goliath inBerlin), für vielversprechender hält.

Er verwies auf die Erfolge in seiner Heimat: Dass man in den USA eben eine ganz andere Politik als in Europa nach der Finanzkrise gemacht habe. Vor allem sei auf eine Stärkung der Binnennachfrage gesetzt worden.

Zudem habe man schnell den Finanzsektor reformiert, ins Transportwesen, in die Industrie, in erneuerbare Energien und in die Ausbildung der Beschäftigten investiert. Das habe zu einem starken Beschäftigungsschub geführt. 14 Millionen Jobs seien geschaffen worden, die Arbeitslosenquote halbiert und das Defizit um 75% gesenkt. Die Wirtschaftsleistung sei nun in den USA wieder höher als vor der Krise.

Obama räumt auch ein, dass es auch in den USA noch viel zu tun gäbe, um Ungleichheiten abzubauen, denn es gäbe noch immer viele Familien mit großen Schwierigkeiten. Doch, so betonte er: "Wir bewegen uns in die richtige Richtung." Zwischen den Zeilen sagte er damit deutlich, dass er Europa alles andere als auf dem richtigen Weg sieht.

Denn sein Resümee fällt mit Blick auf den eingeschlagenen Austeritätskurs deutlich anders aus. Der sei ein wichtiger Faktor zur Erklärung von Frustrationen und Ängsten, die in vielen europäischen Ländern zu beobachten seien.

Die Austeritätsmaßnahmen seien ein Grund dafür, dass das Wachstum in Europa weiter schwach sei und einige Regionen sogar seit zehn Jahren stagnieren würden. Europa käme insgesamt nun gerade erst wieder an dem Punkt an, wo es sich schon vor der Krise befunden habe. Viele Menschen in Europa hätten das Gefühl, dass die wirtschaftliche Integration und die Globalisierung nicht allen Menschen gleichermaßen zugutekommen würden.

Er sprach zwar davon, dass auch Spanien wieder wachse und das Land sogar eine der stärksten Wachstumsraten aufweise, aber er rückte in den Blick, dass die Arbeitslosigkeit mit fast 20% weiter sehr hoch ist. Besonders verwies Obama auf die Jugendarbeitslosigkeit, die mit fast 45% noch immer extrem hoch und nur in Griechenland noch höher ist. Er werde deshalb beim Besuch in Spanien, in Europa und in der Welt weiter eine Politik verteidigen, die auf die Menschen Rücksicht nimmt, das Wachstum ankurbelt und Arbeitsplätze schafft.

Es brauche Wachstum in Spanien zur Stärkung des Handels, Wachstum unter Unternehmertum in Europa, damit die Globalisierung für Beschäftigung und Chancen für alle sorgt, nicht nur für eine kleine Elite. Die Frustration und das schwache Wachstum auf dem Kontinent seien dafür verantwortlich, dass viele Leute zurückblieben, weshalb Europa nun vor einer harten Probe stehe, sagte Obama angesichts des Brexits und den aufkommenden rechtspopulistischen Strömungen.