Pack das Handy in die Tüte

Neben der Spur

Google kümmert sich um uns, deshalb sollen wir jetzt einen Umschlag herunterladen. Sozusagen

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Vier Stunden soll ein durchschnittlicher Mobile User heutzutage an seinem Handy hängen. Täglich. Das entspricht ungefähr der Zeit, die man vor 20 Jahren in den USA als durchshcnittlichen TV-Konsum notiert hat. Ebenfalls täglich, ebenfalls pro Person. Das ist nicht wenig, manche unter uns schlafen nicht wesentlich mehr. Und zusammengenommen wäre das schon wieder acht Stunden Halbdämmer, also fast ein gesunder Lebenswandel.

Nun hat sich Google gesagt: Das ist nicht gut, da muss man was machen. Anstatt die Mütter anzurufen und ihnen zu erklären, dass sie der Familie die Geräte ausschalten soll (eh zwecklos, die Mutter hängt gerade selbst am Mobile), empfiehlt man eher den Download von "Envelope". Das muss man sich als App vorstellen, die den liebsten Haushaltsgegenstand aller zum dumpfblöden Endgerät macht. Envelope kann man sich vielleicht am besten so übersetzen, dass Google der Meinung ist, wir säßen alle viel zu lange am Tag in unseren Autos. Deshalb bietet man jetzt einfach ein Werkzeug an, um zeitweise die Räder abzuschrauben.

Dann kann man zwar immer noch im Wagen sitzen, aber eigentlich nur noch das Radio einschalten und den Zigarettenanzünder nutzen. Was einem nun auch nicht viel hilft, wenn man Nichtraucher ist, aber das ist eine andere Geschichte.

Mit Envelope kann das Handy nur noch wenig. Zum Beispiel telefonieren. Und wenn so ein Nutzer die App installiert und anwendet und dann bloß noch mit seinen Mitmenschen reden könnte, dann wird er sich sagen: Och, ne Du, das mit dem Reden wird nix, da lasse ich doch lieber das Handy aus und setze mich an den Laptop.

Um bei der Analogie von vorhin zu bleiben: Autos sind wie Online-Apps dazu gebaut worden, um die Nutzer möglichst lange zu binden und sie mit einem guten Nutzergefühl zu versorgen. Sagen wir es doch gleich: beide wollen süchtig machen, und das schaffen sie auch ganz gut. Wenn jetzt ein räderloses Vehikel am Straßenrand herumsteht oder ein Handy nur noch wenig kann, und das vielleicht nicht einmal sehr gut, dann geht es höchstens den anderen auf den Senkel und macht uns Nutzern nur noch umso mehr darauf aufmerksam, wie dringend (!) wir jetzt gerade eine ordentliche Autofahrt oder einmal die Timeline in einer Social Media App brauchen könnten.

Das ist, als würde man einen Alkoholiker trocken setzen und ihn vor einer Vitrine mit schön ausgeleuchteten Schnapsflaschen platzieren. Kann man machen, trägt aber nicht zum Sozialfrieden bei.

Vermutlich bleibt einem nichts anderes übrig, übertragen gesagt die Karre öfters mal in der Garage stehen zu lassen, also zu lernen, den Kopf wieder mal ein wenig nach oben zu heben und nicht sinnlos in der Gegend herum zu surfen. Das geht schon vom immer noch mündigen Bürger aus, die Aufklärung als Ausgang aus dem selbstverschuldeten Handyvertrag hat noch nicht ganz ausgedient. In diesem Sinne: Geräte runter, kurzer Blick in die Landschaft bitte und die ehrliche Antwort auf die Frage: "Muss ich schon seit 300 Minuten online sein, es ist doch erst 08:30 Uhr morgens." Danke.