Per Menschenkette zur Unabhängigkeit Kataloniens
Am katalanischen Nationalfeiertag wird eine Menschenkette nach Vorbild der baltischen Staaten Katalonien von Norden nach Süden durchziehen
Mehr als 400.000 Menschen werden am heutigen 11. September in Katalonien mit einer Menschenkette für die Unabhängigkeit von Spanien eintreten. Am Nationalfeiertag (Diada) werden sich auf 400 Kilometern die Menschen von Le Perthus in Frankreich bis nach Valencia an der gesamten Mittelmeerküste die Hand geben. Für den "Katalanischen Weg in die Unabhängigkeit", hinter der die Katalanische Nationalversammlung (ANC) steht, soll ein Zeichen gesetzt werden. ANC-Präsidentin Carme Forcadell spricht von einem "Symbol der Einheit der katalanischen Bevölkerung, um die nationale Souveränität zu erreichen".
Angeknüpft wird an den "Baltischen Weg". Dort wurde 1989 die bislang längste Menschenkette gebildet, um friedlich für die Unabhängigkeit von Estland, Lettland und Litauen von der Sowjetunion einzutreten, die sie 1991 erhielten. Die Menschenkette und ihre Forderungen werden in Katalonien breit unterstützt. Auch Persönlichkeiten wie Pep Guardiola - Trainer des FC Bayern – rufen zur Beteiligung auf. Wer sich bisher nicht im Internet registrieren und sich einen Platz auf der Strecke zuweisen ließ, soll sich spontan beteiligen. Nach Umfragen treten knapp 56 Prozent der Bevölkerung für die Unabhängigkeit ein und nur noch gut 23 Prozent sind dagegen. Im vergangenen Jahr hatten in Barcelona gut 1,5 Millionen Menschen demonstriert und an ihrem Ziel keinen Zweifel gelassen. "Katalonien, ein neuer Staat in Europa", forderten gut 20 Prozent der Bevölkerung auf der Straße.
Nun soll der Druck auf den Präsident der Regionalregierung verstärkt werden. Zwar hat der christdemokratische Artur Mas mit seiner Konvergenz und Einheit (CiU) versucht, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, doch viele trauen dem nicht. Zuvor waren sie nur für eine bessere Finanzierung der unterfinanzierten Region eingetreten, die einen überdurchschnittlich hohen Beitrag zum Bruttosozialprodukt Spaniens leistet. Bei den vorgezogenen Neuwahlen im vergangenen Herbst wurde deshalb die Republikanische Linke (ERC) deutlich gestärkt, die zweitstärkste Kraft wurde.
Wie der ERC-Präsident Oriol Junqueras hat auch die ANC-Präsidentin Mas aufgefordert, sich klar festzulegen. Mas ruderte derweil wieder etwas von seinem Vorstoß zurück, die regulären Parlamentswahlen 2016 in ein Wahl-Plebiszit zu verwandeln, wenn es zu keiner Einigung mit Spanien kommt. Bei einer klaren Mehrheit, wie sie die Befürworter für die Unabhängigkeit schon haben, könnte das Parlament nach diesen Wahlen einseitig die Unabhängigkeit erklären. Das wäre, wie der Internationale Gerichtshofs (IGH) im Fall Kosovo entschied, nach internationalem Recht kein Problem, da das keine Rechtsnorm verbietet.
Am Dienstag erklärte Mas angesichts der Mobilisierung zum Nationalfeiertag, er wolle sich an den Fahrplan halten. "Noch vor Jahresende wird das Datum für das Referendum im Pakt und die Frage oder die Fragen festgelegt." Vor der CiU-Parteiführung fügte er an, der Punkt sei erreicht sei, an dem es in der Frage des Selbstbestimmungsrechts kein Zurück mehr gäbe. Aber er hat seine bisherige Idee noch nicht verworfen, wenn Madrid keinen Pakt über das Referendum eingeht oder es sogar verbietet. "Wir verfügen dann über Wahlen", sagte er. Die könne nur der katalanische Regierungschef ansetzen. Damit stellt er in den Raum, statt einem Referendum die Wahlen vorziehen zu können. 2014 ist für die Katalanen bedeutsam. Es ist der 300. Jahrestag, an dem Barcelona 1714 in den Erbfolgekriegen unter die spanische Krone fiel, und Katalonien seine Eigenständigkeit verlor.
Abspaltung von Spanien möglich
Für die spanische Regierung hat Innenminister José Manuel García Margallo ausgeschlossen, wie die Schotten mit den Briten zu einer Übereinkunft über ein Referendum zu kommen. Margallo warnte erneut vor den "desaströsen Folgen" einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung. Damit stünde Katalonien automatisch außerhalb der EU. Für Margallo, der auch im Dauerstreit um die britische Kronkolonie Gibraltar auf Konfrontation setzt, führe die Menschenkette nur in eine "Sackgasse".
Dass neue Staaten wie Schottland oder Katalonien außerhalb der EU stehen würden, ist bei Experten umstritten. Immer weniger umstritten ist, auch wenn das lange das Gegenteil behauptet wurde, dass ein unabhängiges Katalonien lebensfähig ist. Eine catalan/elecciones cataluna 25n/independencia Studie der Universität Barcelona hatte gezeigt, dass Katalonien der größte Nettozahler Spaniens ist. Jährlich gehen gut 15 Milliarden Euro nach Madrid, die nicht zurückfließen. "Spanien lebt auf Kosten der Katalanen und nicht umgekehrt“, wird festgestellt. Ein unabhängiges Katalonien wäre aus Sicht der Studie "absolut realisierbar".
Und nun kommt die deutsche Stiftung für Wissenschaft und Politik zum Ergebnis, dass auch eine Abspaltung von Spanien möglich ist. Kai-Olaf Lang hält es für eine "Verkürzung", die schwere "Krise als alleinigen Auslöser" für die Unabhängigkeitsbestrebungen zu sehen, wie gerne angeführt wird. Er sieht zentrale Gründe darin, dass das neue Autonomiestatut 2006 im Madrider Parlament "modifiziert" wurde. "Abgehobelt" nannte der Präsident der Verfassungskommission Alfonso Guerra den Vorgang, dass ein mit 90 Prozent im katalanischen Parlament beschlossene Statut in Madrid verunstaltet wurde. Lang resümiert: "Der Schlüssel zu einer konstruktiven Lösung der katalanischen Frage liegt in Madrid." Doch die Konservativen neigen zu keinerlei konstruktiven Lösungen, wie ihre Konflikte mit den Basken, mit Marokko um Ceuta und Melilla, mit den Briten um Gibraltar oder nun auch mit Portugal um die "Wilden Inseln" zeigen.