"Rechtswidriges und verfassungswidriges Verhalten durch Generalstaatsanwalt"
Die sonderbare Abschiebung und das tagelange Verschwinden eines ehemaligen Freiburger Universitätsmitarbeiters gibt Rätsel auf
In aller Eile wurde der Baske Tomas Elgorriaga Kunze am vergangenen Montag sehr früh aus seiner Zelle im Mannheimer Knast gezerrt. "Brutal" sei das Vorgehen gewesen und er habe keinerlei Sachen bei der Auslieferung nach Frankreich mitnehmen dürfen, nicht mal seine Brille, erklärte Elgorriaga inzwischen seinen Anwälten.
Ebenso abnormal wie dieses Vorgehen war, dass seine Verteidiger nicht über den Vorgang informiert wurden. So war ihnen ihr Mandant fast drei Tage von ihrer Bildfläche verschwunden. Ihnen war lediglich am Freitag zuvor mitgeteilt worden, dass das Oberlandesgericht Karlsruhe dem Gesuch Frankreichs stattgegeben hat. Dort war er in Abwesenheit, ohne sich verteidigen zu können, mehrfach verurteilt worden.
Da der zuständige Richter die "Überstellung" aber an klare und für den Beschuldigten positive Bedingungen geknüpft hatte, erstaunte das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft alle Beteiligten, die für die Abschiebung zuständig waren.
Auffällig war nicht nur die Eile, mit der Elgorriaga in der derzeitigen Terror-Panik in Richtung Paris abgeschoben wurde (und auch dafür waren die Grenzen nicht geschlossen. Dramatisch war, dass der ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiter der Freiburger Universität, dem Spanien und Frankreich die Mitgliedschaft oder die Unterstützung der baskischen Untergrundorganisation ETA vorwerfen, tagelang komplett verschwunden war. Weder seine Anwälte noch die Familie wussten fast drei Tage lang, was mit dem Basken, Sohn einer deutschen Mutter, geschehen ist.
Erst als am späten Mittwoch besorgte Angehörige und Freunde in seinem Heimatort Hondarribia, wo er einst im Gemeinderat saß, auf die Straße gingen, kam Entwarnung aus Paris. Elgorriagas baskische Anwältin Miren Illareta teilte aus der französischen Hauptstadt mit, dass er am Abend vor einem französischen Richter erscheinen werde. Zudem wurde bekannt, dass Elgorriaga, der 15 Jahre unter falschem Namen in Freiburg lebte, von der deutschen an die französische Polizei übergeben wurde und zwei Tage in Straßburg eingesperrt war.
Der Unterschied zwischen dem Verhalten des zuständigen Richters und des Generalstaatsanwalts könnte kaum größer sein. Der Richter machte einen ordentlichen Job, prüfte formal ohne Vorurteile die französischen Dokumente. Er stieß immer wieder auf Widersprüche, weshalb er Nachforderungen stellte. Er winkte die Angelegenheit nicht in den üblichen drei Monaten durch, wie es beim Europäischen Haftbefehl vorgesehen ist. Deshalb dauerte es 13 Monaten bis die "formellen und materiellen Anforderungen" erfüllt waren.
"Entsprechend der im Auslieferungsrecht geltenden Grundsätze sei nicht zu prüfen gewesen, ob der von den französischen Behörden erhobene Tatvorwurf zutreffe", wird extra erwähnt. Daran hat offenbar der Richter genauso erheblich Zweifel, wie die Kolleginnen und Kollegen des Basken an der Freiburger Universität, die am vergangenen Samstag mit Freunden und Angehörigen des Basken in Freiburg für die Freilassung und gegen die Auslieferung des Basken demonstriert hatten. Auch in der Öffentlichkeit wurden die Vorwürfe gegen den Basken immer stärker hinterfragt und Vorgänge in seiner Heimat thematisiert.
Die Zweifel hatte der Richter in drei zentrale Auslieferungsauflagen gegossen. Zunächst mussten die französischen Behörden "Zusicherungen" abgeben, "dass der Verfolgte nach seiner Überstellung das Recht auf neue Gerichtsverfahren erhalte", denn eine Verurteilung in Abwesenheit ist absurd und in Deutschland unmöglich. Summierten sich die bisherigen Urteile schon auf 17 Jahre, wurde nun vom Richter verfügt, dass insgesamt "eine Strafe von nicht mehr als zehn Jahren verhängt werden" dürfe.
Der wichtigste Punkt ist aber, dass er ausgeschlossen hat, dass Elgorriaga nach Spanien weitergeschoben wird, wie es Frankreich gerne tut. "Im Hinblick auf die sozialen Bindungen des Verfolgten in Deutschland" verbindet der Richter die "Überstellung nach Frankreich" mit dem Vorbehalt, "dass der Verfolgte nach Beendigung des Strafverfahrens in Frankreich die Strafe in Deutschland verbüßen darf".
Der Richter sprach ausdrücklich die von Elgorriaga in Spanien erlittene Folter nach einer Festnahme 1998 an, die der Grund für dessen Flucht nach Deutschland war. Zudem trug er damit unterschwellig der ungeklärten Frage Rechnung, ob Elgorriaga nicht doch deutscher Staatsbürger ist. Allerdings führt das Gericht an, dass er zwar "Sohn einer deutschen Staatsangehörigen" sei, aber "selbst nicht die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt habe".
Im Gegensatz zum Verhalten des Richters steht das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft. Denn mit der raschen und übereilten Auslieferung wurde praktisch verhindert, dass Elgorriaga einen Asylantrag in Deutschland stellen konnte. Axel Oswald, einer seiner deutschen Anwälte, beschrieb gegenüber Telepolis das Vorgehen.
Als Elgorriaga am frühen Montag erklärt habe, Asyl zu beantragen, habe der Generalstaatsanwalt lediglich ein Fax an das Oberlandesgericht Karlsruhe geschickt und dem Gericht ganze "15 Minuten" für eine Entscheidung eingeräumt.
Dabei hebelt das Grundrecht auf Asyl alle Auslieferungsvorgänge aus, "denn dieses Recht ist höher zu bewerten als der Anspruch von Frankreich auf Auslieferung", erklärte Oswald. Elgorriaga hätte angehört werden müssen, welche Asylgründe er vorbringen kann, was nicht geschah. Durch irgendeine kurzeitige Anfrage beim Oberlandesgericht in Karlsruhe, dass dafür nicht einmal zuständig sei, könne das Verfassungsrecht nicht ausgehebelt werden, auch wenn schon ein Sonderkommando der französischen Polizei an der Grenze warte.
"Das ist ein verfassungswidriges und schwer rechtswidriges Verhalten des Generalstaatsanwalts", erklärt der Verteidiger. Oswald weist auch darauf hin, dass die Bedingungen, an welche die Auslieferung geknüpft ist, völkerrechtlich verbindlich seien. "Daran gibt es keinen Zweifel."
Das Problem sieht er darin, ob die Generalstaatsanwaltschaft von Amts wegen auch die französischen Behörden entsprechend unterrichtet hat, denn dafür ist sie wiederum zuständig. Er bedauert auch hier, dass viele Vorgänge und Details weiter im Dunkeln lägen.