Schotterpiste statt Ruhrschnellweg
Offene Fragen zum Duisburger Unglück
Es ist gerade eine Woche her – am 18. Juli versammelten sich anlässlich der Veranstaltung "Still-Leben" geschätzte 3 Millionen Menschen auf dem "Ruhrschnellweg" - der Hauptverkehrsader der Region, die sich auf der Straßenkarte als A40/B1 finden lässt. Obwohl die Besucherzahl dreimal so hoch war wie angenommen (und mindestens doppelt so hoch wie die der gestern unter grässlichen Umständen beendeten Love Parade) kam es zwar zu einigen ungemütlichen Situationen - schlimme Verletzungen oder gar Todesfälle waren jedoch nicht zu verzeichnen. Wieso also eskalierte sieben Tage später die Abwicklung der Love Parade derart, dass bis zur Stunde 19 Tote und weit über 300 zum Teil Schwerverletzte zu beklagen sind?
Das Argument von anderthalb Millionen schwer drogenberauschter und in ihrem Verhalten unkontrollierbarer Irrer ist mit dem naheliegenden Verweis auf Jahrzehnte friedlicher Paraden in Berlin, Essen und Dortmund schnell vom Tisch. Niemand wird behaupten wollen, dass die Massen, welche die "klassischen" Paraden um die Berliner Siegessäule zu den weltweit bestaunten Überparties geraten ließen, dies nüchtern zuwege brachten. MDMA und andere Drogen waren also kaum der Auslöser des gestrigen Fiaskos.
Ein Blick auf das Vergleichsbild Berlin/Duisburg bietet da weit mehr Aufschluss, und das in einer Deutlichkeit, die keiner Interpretation mehr bedarf. In dem Zusammenhang stellt sich aber durchaus die Frage, warum ein Fest wie "Still-Leben" von offizieller Seite auf optimale Bedingungen trifft (eine Autobahn ist, im Gegensatz zum Duisburger Love-Parade-Gelände, nicht eingezäunt, sondern regelrecht in einen einzigen großen Fluchtweg eingebettet – auf gut deutsch: Ist die Kacke am Dampfen, laufen alle ins Grüne, und ein paar Abschürfungen und verstauchte Knöchel sind das schlimmste zu erwartende Übel), während die Loveparade in eine Schotterpiste gezwungen wird, die bestenfalls für 350 000 Raver Platz bietet und obwohl schon im Vorfeld klar wurde, dass mindestens 1 000 000 Teilnehmer zu erwarten sind – bei gutem Wetter noch einmal 500 000 mehr.
Folgt man den Meldungen in einem geschlossenem Forum für Bühnentechniker und Veranstalter, wurde auf der Basis dieser Zahlen beschlossen, den Zugang zum Gelände jeweils polizeilich zu sperren, wenn dieses voll belegt ist, und erst wieder zu öffnen, wenn über die separaten Ausgänge entsprechend viele Raver den Veranstaltungsort verlassen haben. Und genau hier stellen sich entscheidende Fragen:
- Warum wurde der Tunnel am Ausgang gesperrt und nicht am Eingang?
- Warum wurde der Zustrom der Raver nicht weit vor dem Eingangsbereich abgesperrt? Im Vorfeld der Veranstaltung war von der Duisburger Polizei zu hören, dass genügend Sperrstationen zwischen Bahnhof und Festgelände eingeplant seien – zum Einsatz kamen sie aber offensichtlich nicht.
- Warum wurde der Zugang zum Gelände nicht sofort freigegeben, als erste Anzeichen der entstehenden Problematik sichtbar wurden?
- Warum wurde der Loveparade nicht der gerade frisch erprobte und offenbar weitgehend unproblematische Veranstaltungsort "Ruhrschnellweg" zugewiesen, wie es für das ebenfalls im Rahmen von RUHR.2010 organisierte "Still-Leben" möglich war? Denn auch, wenn das gestrige Fest nicht auf diese grauenvolle Weise zu Ende gegangen wäre – ein Areal, das neben einsturzgefährdeten, nur notdürftig abgestützten Industriebauten nur eine Schotterpiste bietet (mit Steinen, die so groß sind, dass man etwa einen unliebsamen DJ bequem steinigen könnte), scheint generell völlig ungeeignet für eine Veranstaltung dieser Größenordnung.