Schulstreiks: Grüner Ministerpräsident fordert Sanktionen
Kretschmann meint, da könne ja jeder kommen. Wie viel Klimaschutz steckt eigentlich in seiner Partei? Mit Update
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann möchte offensichtlich am liebsten die protestierenden Schüler wieder in die Klassen schicken. Der Protest könne keine Dauerveranstaltung werden, zitiert ihn der Fokus. Es müsse irgendwann Sanktionen geben, sonst könne ja jeder kommen.
Für einen Grünen schon eine interessante Aussage, aber so ist es eben, wenn man in einem Auto-Ländle regieren will und sich auch mit einer Milliarden-Bahngelder verbrennenden Sinnlos-Baustelle in seiner Landeshauptstadt arrangiert hat, Geld für abschüssige Bahnsteige verschlingend, das besser in den Ausbau des klimafreundlichen Verkehrsmittels gesteckt worden wäre. Da nerven diese naseweisen jugendlichen Demonstranten einfach, die einem den Spiegel vorhalten.
Die haben ja inzwischen angekündigt, die Wahl des EU-Parlaments im Mai zur Klimawahl machen zu wollen. Auf Twitter kursieren Aufrufe von ParentsForFuture, also von die Klimastreiks unterstützenden Elterngruppen, die Stimme am Wahltag den Kindern zu leihen. Die Jugendlichen sollen ihren Eltern sagen, wo das Kreuz zu machen ist.
Genau hinschauen
Auf jeden Fall sollten diese dann noch einmal genau hinschauen, wo doch das Herz vieler Demonstranten für die Grünen zu schlagen scheint, welche Politik eigentlich in den Bundesländern gemacht wird, wo die Grünen mitregieren oder mitregiert haben.
Baden-Württemberg, wo die grün-geführte Landesregierung noch immer die Stuttgarter Bahnhofbaustelle duldet, obwohl sie aufgrund der Kostenexplosion längst ihre Unterstützung zurückziehen könnte, ist da beileibe kein einsamer Sündenfall.
Es ist noch gar nicht so lange her, da rührte der grüne Oberbürgermeister von Tübingen noch kräftig die Werbetrommel für den Neubau von Kohlekraftwerken. Die Tübinger Stadtwerke sollten sich an einem Neubau an der Elbmündung beteiligen. Der Strom hätte dann in den Trassen Richtung Süden mit dem Windkraftstrom konkurrieren müssen.
Daraus wurde zum Glück nichts. Zahlreiche Kohleprojekte sind um das Jahr 2010 herum am Widerstand der jeweiligen örtlichen Bevölkerung gescheitert. Sehr zum Glück der Tübinger Stadtwerke und anderer potenzieller Betreiber, denn so richtig schwarze Zahlen können die Neubauten aus dieser Zeit nämlich nicht schreiben.
Auch Vattenfalls Mega-Kohlekraftwerk Moorburg nicht, das zur gleichen Zeit 70 Kilometer elbaufwärts in Hamburg gebaut wurde. Gegen das hatten die dortigen Grünen im Wahlkampf 2008 massiv Werbung gemacht, nur um nach dem Wahlabend mit der Union zu koalieren und den Bau als nicht verhinderbar zu schlucken. Nun stehen die beiden 800-Megawatt-Blöcke da und sind wegen der benachbarten Atomkraftwerke und des reichlichen Windstroms meist kaum mehr als zur Hälfte ausgelastet.
Bauverbot für Windkraftanlagen
Immerhin sorgen aber im Nachbarbundesland Schleswig-Holstein gerade die grünen Parteifreunde der Hamburger dafür, dass der Windstrom nicht weiter wächst. Dort hat im Januar die Landesregierung ein bereits seit 2015 bestehendes Moratorium, ein faktisches Bauverbot für neue Windkraftanlagen, um ein weiteres Jahr verlängert. Bis zum Sommer 2020 werden Windkraftanlagen weiter nur mit Ausnahmegenehmigungen gebaut werden können.
Der Hintergrund: 2015 wurde der alte, den Ausbau regelnde Regionalplan von einem Gericht gekippt. Den Richtern war er zu demokratisch, weil die seinerzeitige Landesregierungen alle Flächen ausgeschlossen hatte, von denen die betroffenen Gemeinden es gewünscht hatten. Das war unter einer Koalition aus SPD, Grünen und SSW. Die machte sich danach an die Ausarbeitung eines neuen Planes, doch bis zur Wahl 2017 wurde es nichts mehr.
Danach kam Jamaika dran. Die Grünen haben jetzt mit FDP und CDU zwei Koalitionspartner, die der Windenergie – eine der wenigen Wachstumsbranchen des ökonomisch eher prekären Landes – nicht sonderlich geneigt sind. Also zieht sich die Ausarbeitung einer neuen Regionalplanung hin. Dieses Jahr wird es wohl nichts mehr. Vielleicht nächstes.
Das Ergebnis: Seit 2015 werden nur noch alte Genehmigungen abgearbeitet. Wurden in dem Jahr noch 888 Megawatt (MW) neue Windleistung im Land zwischen den Meeren installiert, waren es 2017 nur noch 551 und 2018 kümmerliche 147 MW.
Vielleicht war dies auch der Grund, weshalb der ehemalige schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck, der von all dem manches zu verantworten hat, am Sonntag bei Anne Will in der Diskussion über die Klimastreiks der Schüler so blass wirkte.
Update:
Die baden-württembergische Landesregierung fühlt sich missverstanden. Ich habe Kretschmanns Zitat aus dem Zusammenhang gerissen, meint sie auf Twitter. Die Stuttgarter Regierung hat nach dem Treffen Kretschmanns mit Schülern von FridaysForFuture eine Stellungnahme veröffentlich, aus der wir zitieren, damit sich die geneigte Leserin und der geneigte Leser selbst ein Bild machen könne.
"Es geht wirklich um deren Zukunft und dafür mal die Schule zu schwänzen, im Kollektiv, das fällt zunächst mal unter zivilen Ungehorsam. Nur ziviler Ungehorsam ist ein symbolischer Akt und kann keine Dauerveranstaltung sein. Also Schüler können, auch wenn sie das selber glauben, nicht einfach streiken. Die Schule macht man ja dafür, dass sie was lernen. Und das muss man ins richtige Verhältnis setzen in der Diskussion mit den jungen Leuten. Aber an Regeln muss man sich halten. Und das gilt zunächst mal in einer Demokratie. Und wenn man sie verletzt, muss man mit Sanktionen rechnen, auch das gehört übrigens zum zivilen Ungehorsam dazu. Kann man bei John Rawls gut nachlesen. Wenn man dann sanktioniert wird, darf man nicht jammern, sondern muss das auch tragen und in Kauf nehmen. Und irgendwann wird es zu Sanktionen kommen.
Sonst sucht sich zum Schluss jeder ein Thema und lädt das moralisch auf und das geht nicht. Dass dieser moralische Appell zunächst zutiefst gerechtfertigt ist, darüber besteht für mich kein Zweifel und ich habe die Schüler ermutigt, das auch weiter zu machen, wenn auch nicht während der Schulzeit, weil dieser Druck ist erforderlich, damit wir auch realpolitisch was erreichen können."
Winfried Kretschmann, Bündis 90/Die Grünen, Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Ich denke immer noch, dass ich Winfried Kretschmann nicht falsch verstanden habe. Er ist als Ministerpräsident gegenüber der Kultusministerin und diese gegenüber den Schulleitungen weisungsbefugt. Er hat es also in der Hand und könnte seinen Ermessensspielraum nutzen. Daher denke ich, dass eine Aussage wie "Und irgendwann wird es zu Sanktionen kommen" als Drohung verstanden werden kann. Ausgesprochen durch die Blume, denn Kretschmann mimt hier den Politikberater für eine Jugendbewegung. Aber er ist es, gegen den demonstriert wird und der am längeren Hebel sitzt. Entsprechend sind seine Aussagen zu interpretieren.
Und was den Ermessensspielraum angeht: Man denke nur daran, welche Verrenkungen bis hin zur Missachtung von Gerichten die Landesregierungen - auch in Stuttgart - anstellen, um Fahrverbote zu vermeiden, die den Bewohnern der Innenstädte bessere - wenn auch noch nicht ausreichend gute - Luft durch die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte bescheren würden. (Ok: Das mit der Missachtung der Gerichte waren die Nachbarn in Bayern.)