Social Mitgefühl ist der Bringer

Joe Biden ist mit seiner Online-Präsenz noch weit abgeschlagen und hat einen Job zu tun. Aber das könnte klappen. Oder die USA haben noch einmal vier Jahre Kasperltheater vor sich

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Ich hatte es mir so fest vorgenommen, dieses Mal nichts über einen Virus zu schreiben. Aber es ist gar nicht so einfach in einer Zeit, dessen Medienaufmacher zu 99.9% (zumindest gefühlt) nur ein Thema zu kennen scheinen. Außerdem wollte ich schon gar nicht mit dem Wort "ich" anfangen, denn das ist nach fast vier Jahren Narzisstenstadel in der US-Politik so dermaßen in Grund und Boden geschossen, dass man es eigentlich gar nicht mehr in den Mund nehmen will.

Ach was soll's. Das letztendliche Thema heiligt die Mittel.

Das große Thema in diesen Tagen ist doch, wie wir in dem ganzen Geknödel aus Populismus und IchIchIch noch zu echtem Zueinander kommen. Auch über digitale Kanäle, gerade über sie, denn wir haben ja derzeit kaum andere Kanäle mehr. Alles, was wir doch wollen, ist ein wenig die Wärme des Anderen zu spühren. Auch digital.

Und damit sind jetzt nicht die Wärmekameras gemeint, die Jeff Bezos aufstellen lässt, um seine kranken Mitarbeiter auszusortieren, anstatt ihnen einen angemessenen Krankenstand zu finanzieren. Das ist hier wenig zielführend, so wenig die ewige, blödsinnige Angeberei über die eigenen Glücksgefühle, weil man das tägliche Pressebriefing wieder so toll hinbekommt, dass dem sogar mehr Menschen folgen als einer Talentshow. Ich vermute, die meisten wissen jetzt, von welcher Fehlfrisur als Fehlbesetzung ich hier rede.

Nein, es geht um die Mitteilung von Empathie. Ob das jetzt immer so unglücklich naiv wie über Facebook passieren muss, das sei einmal dahingestellt. Dort kann man sich ja jetzt Herzchen und kleine Knuddel-Emojis schicken, die sicher nicht schaden, aber vermutlich einen emotionalen Nährwert haben wie das essenstechnisch eine Ladung Zuckerwatte zum Abendessen leistet.

Warum ich auf die Mitteilung von Mitgefühl komme, hat mit dem digitalen Wahlkampf von Joe Biden zu tun, der bisher ja nur schwer in die Gänge kommt. Ganze 32.000 Follower hat sein YouTube-Kanal. Das ist in etwa so, als würde der Klassenkamerad meines Sohnes vor dem Frühstück einen intimen YouTuber-Kanal aufmachen (und der ist 11). Da ist Nachholbedarf, meint die New York Times. Kann man dem Blatt nicht ganz verdenken, schließlich hoffen ja schon eine Menge an Menschen inzwischen, dass dieser Krakelerspuk mit Trump im November Vergangenheit ist.

Aber im Moment könnte man doch etwas nervös alleine auf die 29.5 Millionen Follower von Trump auf Twitter schauen. Wenn auf jeden Subscriber von Biden auf YouTube mehr als 900 Follower von Trump auf Twitter kommen, dann kann man nicht mehr nur von einer leichten Führung in der Zielgruppe sprechen. Da ist jedes Wort vom einen natürlich lange nicht so schnell verbreitet wie das des anderen. Und egal ob man jetzt glaubt, dass Präsidenten inzwischen nur noch mit satter digitaler Meinungsführerschaft ins Amt kommen oder nicht: Da muss Joe Biden was machen. Da helfen TV-Spots nicht mehr wirklich weiter.

Nun meint der Leiter seiner Online Kampagne eben in diesem NY Times Artikel, das sei alles leicht aufzuholen, denn man habe etwas mit der Marke Biden, was Trump nicht habe: Mitgefühl, Empathie, und die wirke in Social Media eben stark emotionalisierend. In einer Zeit, in der der Präsident eine Menge an Toten in Kauf nimmt, um "seine" Witrschaft wieder anzuwerfen, könnte der demokratische Kandidat hier auch entscheidend punkten. Denn je länger die Corona Situation sich in RIchtung Wahltag bewegt, desto eher würden die Menschen jemandem zuhören, der sich um sie sorgt. Nicht um seine Einschaltquoten oder die Subventionen für die eigene Hotelkette. Da mag etwas dran sein. Und das mag inzwischen auch ohne einen Virus der Fall sein.

Vielleicht sind wir es alle wirklich leid, einem gefühlsarmen Narzisten zuhören zu müssen, der sich an der Macht sieht. Und nicht einem Kandidaten, der das Amt für ein Volk übernimmt. Zumindest kann der das glaubhafter vorgeben. Momentan meist analog. Hoffentlich bald auch digital. Ohne Facebook Herzchen und Wärmekamera von Amazon.