Sondergipfel für Wachstumspakt
Brüssel will die Defizitziele aufweichen und auch Spanien mehr Zeit geben, das hohe Haushaltsdefizit abzubauen
Die Wahlen in Frankreich und Griechenland zeitigen erste deutliche Reaktionen. Nun wurde bekannt, dass sich die EU-Staats- und Regierungschefs am 23. Mai zu einem Sondergipfel in Brüssel treffen werden. Schließlich will der neue französische Präsident François Hollande den Fiskalpakt für eine strenge Haushaltsdisziplin nachverhandeln und durch einem Wachstumspaket ergänzen, um auch mehr politischen Spielraum im eigenen Land zu haben.
Doch es geht nicht nur um Frankreich, denn die große spanische Tageszeitung El País hat am Dienstag berichtet, dass die EU-Kommission in Brüssel plane, die Defizitziele auch für Spanien zu lockern. El País Quellen zitiert hochrangige Quellen in Brüssel, wonach auch Spanien mehr Zeit erhalten soll, um das Defizit wieder unter die Stabilitätsmarke von 3% zu drücken. Statt Ende 2013 soll das Stabilitätsziel erst Ende 2014 erfüllt werden. Dank Hollande hätten die konservativen Freunde von Nicolas Sarkozy in Madrid damit in den nächsten Jahren etwas mehr Luft, um neben der extremen Reform- und Sparpolitik auch Wachstumsinitiativen starten zu können. Zwar sei nichts beschlossen, berichtet die Zeitung, doch in der Kommission werde schon mit dieser Hypothese im Hinblick auf die Wirtschaftsprognosen gearbeitet, die am Freitag vorgestellt werden.
Der Sprecher von EU Wirtschaftskommissar Olli Rehn hatte schon am Montag eingeräumt, Spanien werde "analysiert" und man beachte dabei besonders sein "wirtschaftliches Umfeld". Amadeu Altafaj betonte, Spanien habe eine Haushaltskonsolidierung nach den Vorgaben aus Brüssel auf den Weg gebracht und kündigte an, dass die Kommission am 30. Mai spezifische Empfehlungen für jedes Land abgeben werde. Die werden davon geprägt sein, was auf dem Sondergipfel besprochen wird. Es müsse, so hatte Altafaj betont, letztlich politisch entschieden werden.
Die EU-Prognose für Spanien dürfte pessimistisch ausfallen. Schon im Februar hatte die Kommission ihre Vorhersage nach unten korrigiert und Brüssel ging davon aus, die spanische Wirtschaft werde 2012 Jahr um 1% schrumpfen. Da Madrid längst ein Minus von 1,7% erwartet, wird auch Brüssel weiter nach unten korrigieren. Die Lage im viertgrößten Euroland wird dramatisch. Das zeigt nicht nur die hohe Arbeitslosigkeit, die schon auf über 24% gestiegen ist und bei jungen Menschen sogar auf 52%. Die Rezession reißt immer mehr Firmen in den Abgrund. Das Statistikamt in Madrid teilte am Dienstag mit, dass ein neuer Rekord bei Firmeninsolvenzen aufgestellt wurde. Im ersten Quartal wurden fast 2000 Unternehmen zahlungsunfähig - das sind fast 25% mehr als im Vorjahr.
Um einem Absturz Spaniens zu begegnen, womit die Gemeinschaftswährung ernsthaft in Gefahr gerät, muss es Wachstumsimpulse geben, die zunächst aber den Abbau des Haushaltsdefizits bremsen können. Diese Ansicht macht sich auch in der EU-Kommission breit. Die Wahl in Frankreich hat die politische Grundlage Voraussetzungen für eine Kurskorrektur geschaffen, ist auch Laszlo Andor überzeugt. Der EU-Kommissar für Beschäftigung und Soziales meint, Hollande habe schon vor seinem Wahlsieg dazu beigetragen, dass Wert auf "Wachstum und Beschäftigung" gelegt werde. Dass er die Wirtschaftspolitik neu austarieren will, hält Andor für "sehr bedeutsam". Er spricht von einer "Austeritätsfalle" und fordert, die "Sparmaßnahmen der letzten zwei Jahre zu überdenken".
Zwar hat EU-Währungskommissar Rehn am Dienstag offiziell die Sparziele bekräftigt, doch er hatte am vergangenen Wochenende eine Lockerung in Aussicht gestellt. Rehn sagte nun: "Die Debatte Konsolidierung gegen Wachstum ist aber eine falsche Diskussion", denn die EU-Staaten müssten gleichzeitig sparen und die Konjunktur ankurbeln. Wie das gehen soll, bleibt weitgehend sein Geheimnis. Jedenfalls will auch Rehn das Wachstum nun ganz oben auf die Tagesordnung setzen. Wenn er es mit dem "Europäischen Investitionspakt" ernst meint, den er am Samstag forderte, muss Geld in die Hand genommen werden und müssen Sparmaßnahmen überdacht werden. Er hatte angeregt, in grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte, wie etwa Strom- und Verkehrsnetze, Forschung und Telekommunikation zu investieren.
Dass Defizit-Anpassungen nicht tabu sind, hat sich ohnehin schon an Spanien gezeigt. Wegen der fatalen Lage wurde es dem Land schon im März erlaubt, sein Defizit 2012 statt auf 4,4% nur auf 5,3% abzubauen. Da allseits damit gerechnet wird, dass das Land dieses Ziel nicht erfüllen kann, wird erwartet, dass weitere Anpassungen vorgenommen werden. Zudem muss Spanien erneut Milliarden in marode Banken stecken, womit sich das Land weiter von seinen Defizitzielen entfernt. Und das gilt nicht nur für Spanien. So hat Irland 2011 sein Defizitziel deutlich verfehlt und ist mit 13,1% wegen der Bankenrettung weiter europäischer Spitzenreiter. Auch die grüne Insel, die wieder in die Rezession rutscht, wird deshalb eine Anpassung der Ziele benötigen.