Syrien: Gewalt seitens des Regimes nimmt ungeahnte Dimensionen an
Heckenschützen in Zivilkleidung feuern auf Trauernde
Wenn ein Korrespondent von Al Jazeera English mit den Nerven am Ende ist, horcht die Welt (leider) besonders auf. Umso vehementer gaben Syriens Twitterer gestern seinen Augenzeugenbericht wieder: Perry, dessen vierwöchiges Visum für Syrien am Samstag ohne Verlängerung auslief, verliess das Land Richtung Amman. Dabei stieß er auf einen Zug aus Trauernden, die ihre Angehörigen zu Grabe trugen und dabei beschossen wurden. Perrys Tweet:
: On the road to Amman - outside #Izraa, I witnessed a funeral march. Cut down by gunfire. Directly into crowd. Horrible. #Syria #Murder
In seinem vollständigen Bericht erklärt Perry, dass das Feuer nur von einer Seite kam (es war nicht die des Trauerzuges). Zudem vermutet er, dass sich Syriens Regime sicher fühlt, da die Augen der Welt auf derzeit andere Schlagzeilen gerichtet sein.
Ein besonders erschütterndes Video (Achtung, mit verstörenden, expliziten Bildern; Anm. d.Red) dokumentiert, wenngleich ohne Angaben von Zeit und Ort, die Schüsse auf Demonstranten. Ob es sich dabei um Trauernde handelt, ist unklar. Dass es sich bei dem Video indes eindeutig um Aufnahmen aus Syrien handelt, wird anhand des typischen Dialektes klar. Auch rufen die Menschen verzweifelt nach "Is’af" ("Rettungswagen"). Ebenso - und dies ist besonders bemerkenswert - ist inmitten des Massakers seitens der Demonstranten wiederholt das Wort "Salmiyeh" ("Friedlich") zu vernehmen.
Auch die New York Times berichtet über den Beschuss von Trauerzügen und die französische Le Monde spekuliert bereits über den Rückhalt, den Baschar al-Assad noch innerhalb der eigenen Familie geniesst.
Absurdistan einer Dikatur - oder: Kafka in Syrien
Das syrische Fernsehen stellte die heutigen Demonstrationen der Menschen übrigens als "Dankesgesänge" dar. Die Menschen seien auf die Strassen gegangen, um Gott für den jüngst gefallenen Regen zu danken...
Erste Rücktritte
Daraas Mufti, Sheikh Resk Abdulrahman Abaseid, ist gestern zurück getreten, aus Protest gegen die Tötung von Demonstranten. Syriens Großmufti, Scheikh Ahmad Badr el Din Hassoun, stellt hingegen weiterhin unter Beweis, weshalb ihn die Diktatur zur höchsten muslimischen Instanz im Land erkor: Gerüchte über seine menschliche Anteilnahme und potentielle Konsequenzen dementiert er ausdrücklich.
Zurück getreten sind auch die beiden Parlamentsabgeordneten Kahlil al-Rifai und Nasser al-Hariri. Beide stammen aus der südsyrischen Stadt Daraa, in der sich die Aufstände vor fünf Wochen entzündeten. Beide gaben als Grund ihres Rücktrittes an, sie könnten nicht länger die Interessen ihrer Wähler vertreten. Dies freilich ist eine pro-forma-Aussage, da das syrische Parlament ohnedies keine genuine Volksvertretung ist.