Türkischer Frühling?
Proteste gegen ein geplantes Einkaufszentrum in Istanbul weiten sich auf das ganze Land aus
Die seit einer Woche andauernden Proteste gegen den Bau eines Einkaufszentrums im Istanbuler Taksim Gezi Park haben sich am Freitag und Samstag auf zahlreiche türkische Provinzen ausgeweitet – darunter Ankara, Kocaeli, Mersin, Zonguldak, Tunceli, Adana, Muğla, Konya und Izmir. Ziel der Demonstrationen dort ist allerdings weniger das Mammut-Bauprojekt, an dem den Kritikern zufolge auch der Sohn des Innenministers finanziell beteiligt ist, sondern die regierende AKP und ihre Politik.
Ein Grund für die Ausweitung der Proteste liegt im Vorgehen der Sicherheitsbehörden mit Wasserwerfern, Tränengas und (unbestätigten Tweets zufolge) auch mit Hartgummigeschossen. Unter den hunderten Verletzten, die dieses Vorgehen zur Folge hatte, sollen sich auch der Parlamentsabgeordnete Sırrı Süreyya Önder von der Kurdenpartei BDP, der bekannte Rechtsanwalt Sezgin Tanrikulu, der Starjournalist Ahmet Şık, der Reuters-Fotograf Osman Orsal und sein für Hürriyet tätiger Kollege Emrah Gürel befinden. Der Linux-Entwickler Kerem Can Karakaş erlitt dem Portal Demokrat Habler zufolge nach einer Gasattacke sogar einen Herzinfarkt, an dem er verstarb.
Auf der anderen Seite warfen Demonstranten Steine auf Polizeibeamte und verursachten erhebliche Sachschäden durch Straßensperren aus umgerissenen Verkehrsschildern und brennenden Mülltonnen. Der Nachrichtenagentur Doğan gab es wegen solcher Straftaten bislang insgesamt 81 Festnahmen. (Update: Nach neusten Angaben liegt die Zahl der Festnahmen im ganzen Land mittlerweile bei 939.)
Ebenso wie im so genannten arabischen Frühling scheinen Soziale Netzwerke für die Verbreitung von Informationen über die Proteste eine wichtige Rolle zu spielen. Der Hashtag #DirenGeziParki war gestern auch international Trending Toppic bei Twitter. Gerüchten zufolge setzt die Polizei deshalb Störsender ein oder hat Telekommunikationsanbieter dazu gebracht, 3G teilweise abzuschalten. Probleme damit dürften allerdings eher an einer Überlastung liegen. Der Mainstream der türkischen Medien berichtete dagegen bis gestern eher sparsam. Während beispielsweise die BBC live aus der Gegend um den Taksimplatz sendete, brachte der große türkische Fernsehkanal TV24 eine Rede von Premierminister Erdoğan, in der dieser gegen das Rauchen wettert.