Ukrainisch-russische Annäherung durch Tauschgeschäft

Russland senkt für die Ukraine, die einen neuen IWF-Kredit benötigt, den Gaspreis und erhält eine Garantie für die Schwarzmeerflotte sowie Einfluss auf die Wirtschaft

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Am Mittwoch trafen sich der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch und sein russischer Amtskollege Dimitrij Medwedew in der ostukrainischen Stadt Charkow. Im Gegensatz zu den letzten Jahren, als es zwischen Moskau und Kiew wiederholt zu Spannungen kam, wirkte dieser Besuch schon wie eine Selbstverständlichkeit. Mit den zwei offiziellen Besuchen von Janukowitsch in der russischen Hauptstadt war es das dritte Treffen der beiden Staatsoberhäupter in den letzten sechs Wochen.

Doch im Vordergrund dieser Treffen standen nicht unbedingt die nachbarschaftlichen Beziehungen, die mit der Orangenen Revolution in der Ukraine einen gewaltigen Schaden genommen haben, als Juschtschenko den Wunsch nach einer NATO-Mitgliedschaft des Landes äußerte und den Abzug der russischen Schwarzmeerflotte aus Sewastopol forderte. Die russische Seite drehte hingegen der Ukraine in den Wintern 2005/06 und 2008/09 das Gas ab, nachdem man sich nicht über einen Preis einigen konnte. Nein, im Mittelpunkt dieser Gespräche standen wirtschaftliche Interessen, von denen sich vor allem die neue ukrainische Führung eine Entlastung für das von der Weltwirtschaftskrise schwer gebeutelte Land erhofft hat.

Und dass dies nur über eine Neuverhandlung des Gaspreises geht, auf den sich der russische Ministerpräsident Wladimir Putin und seine Amtskollegin Timoschenko im Januar 2009 geeinigt hatten, erklärte Janukowitsch schon während des Präsidentschaftswahlkampfs. Eine nicht nur aus wahlkampftaktischen Gründen getätigte Ankündigung. Schon 2009, als die Ukraine 250 Dollar pro 1000 Kubikmeter zahlte und damit 20 Prozent weniger als auf dem Weltmarkt üblich, hatte das Land Schwierigkeiten, sein Gas zu bezahlen, weshalb Russland der EU sogar vorschlug, sich an einem Kredit für die Ukraine zu beteiligen. Seit dem 1. Januar dieses Jahres muss die Ukraine wie in dem Vertrag von 2009 vereinbart, ihr Gas zum Weltmarktpreis beziehen. Für das klamme Land eine kaum zu bewältigende Belastung.

So ist es nicht verwunderlich, dass es in den letzten Wochen fast wöchentlich zu Gesprächen zwischen Moskau und Kiew kam. Noch am Dienstag weilte der ukrainische Premierminister Nikolaj Asarow in Moskau, um mit Wladimir Putin über das Thema zu verhandeln. Doch bei diesem Arbeitstreffen wurden nur noch die letzten offenen Fragen geklärt, denn schon am Montag wurde bekannt, dass Russland der Ukraine einen beachtlichen Rabatt gewährt.

Bis 2019 wird die Ukraine 30 Prozent weniger zahlen als bisher, was einen Preis von 230-240 Dollar pro 1000 Kubikmeter bedeutet und der Ukraine für die nächsten 9 Jahre Ersparnisse von bis zu 40 Milliarden Dollar einbringt. Nebenbei vermeidet der ukrainische Gasversorger Naftogaz durch diesen Rabatt, der schon in diesem Monat gültig ist, eine Insolvenz.

Wie Präsident Medwedew in Charkow sagte, gewährt Russland solche Rabatte aber nur "realen Partnern" und nicht solchen, die sich verbal dafür erklären. Sprich, Russland erwartet Gegenleistungen. Und im Fall der Ukraine sind diese nicht unbeachtlich. Die in Sewastopol stationierte Schwarzmeerflotte, deren Pachtvertrag 2017 ausgelaufen wäre, wird bis 2042 auf der Krim bleiben können.

Russland wollte als Gegenleistung für billigeres Gas aber nicht nur eine Garantie für die Schwarzmeerflotte. Nach Angaben der ukrainischen Internetzeitung Ukrainska Pravda, wird Russland auch 50 Prozent an dem ukrainischen Flugzeughersteller Antonow erhalten. Und wie russische und ukrainische Medien schon zur Beginn der Woche spekulierten, könnte Russland weiteren Einfluss auf die ukrainische Wirtschaft erhalten. So sollen der Einstieg in die dortige Atomindustrie und die Wasserenergiewirtschaft, eine Beteiligung des russischen Unternehmens Tatneft an der Raffinerie Krementschug sowie mehr Einfluss für Gazprom auf den ukrainischen Gasmarkt interessante Optionen für Moskau sein. Auch der Einstieg russischer Investoren, die sich für den ukrainischen Maschinenbau und die Rüstungsindustrie interessieren, soll von Russland verlangt werden.

Bei diesem vielen Gegenleistungen ist es nicht erstaunlich, dass der gestern vereinbarte Vertrag von einigen ukrainischen Medien und Politikern heftig kritisiert wird. Manche sprechen gar von einem Ausverkauf der Ukraine. Dabei wird jedoch vergessen, dass die Bereitschaft Russlands, den Gaspreis zu senken, eine Entlastung für den ukrainischen Staatshaushalt bedeutet. Die ukrainischen Finanzprobleme werden dadurch aber nicht gelöst. Wie der Vize-Regierungschef Sergij Tigipko am Mittwoch erklärte, brauche die Ukraine einen weiteren IWF-Kredit in Höhe von 12 Milliarden Dollar, um die Wirtschaft weiterhin anzukurbeln und soziale Leistungen aufrechterhalten zu können.